Eine kleine Psychologie zur Psychopathologie des Politikers
Führerschaft und Gefolgschaft als Patentrezept - früher Beginn der Politikerkarriere - Ziehvater hilfreich, eigene Meinung weniger
Ich werde einfach den Eindruck nicht los, dass wir von Politikern regiert werden, die sich vom „Normalo“ eines Bürgers irgendwie unterscheiden. Diese Unterschiedlichkeit ist wohl zum Teil systembedingt und zum anderen das Ergebnis eines besonderen Menschentyps, der sich als „geborener Politiker“ für den Politikerbetrieb eignet. Werfen wir also einen Blick auf Psychopathologie des Politikers.
· Früh übt sich: Es gibt sie schon immer, diejenigen, die sich bereits in der Schule nach vorne drängen, um Klassen- oder Schulsprecher zu werden. Sie wollen von vornherein zeigen: Schaut her, ich bin euer Bester! Ob sie das wirklich sind, ist zwar zu bezweifeln, aber sie sind von vornherein von sich selbst überzeugt. Und es gelingt ihnen, auch andere von sich zu überzeugen, sie zu wählen. Geht es dabei redlich zu? Nicht immer, da wird auch mal mit Zuckerbrot („wenn du mich wählst, dann verspreche ich dir, bei der nächsten Mathearbeit zu helfen“) oder Peitsche („wenn du mich nicht wählst, verrate ich allen über dich, dass du…“, oder „wenn du mich nicht wählst, dann kann es passieren, dass dir etwas zustößt“) nachgeholfen. Sie können auf jeden Fall eines gut: reden. Sie sind um Worte nie verlegen, verstehen es beizeiten, sich in allem herauszureden, sich gut darzustellen, sodass die wählende Schar der Schüler überzeugt werden kann, sie tatsächlich zu wählen. Tun sie das alles, um sich für ihre Klassenkameraden einzusetzen? Offiziell schon, seltsam ist es aber, dass sie bei den Klassenlehrern auch gut ankommen und meistens auch „gute Schüler“ sind. Später treten sie in die Jugendorganisation einer Partei ein und werden zunächst einmal ein treuer „Parteisoldat“, der immer an den richtigen Stellen applaudiert, der es versteht, die richtigen Kontakte zu knüpfen und dem es auch dort gelingt, sich ins rechte Licht zu setzen. Sie schaffen es dadurch, anderen aufzufallen, sodass sie nicht unbekannt bleiben und bald in aller Munde sind. Sie vertreten die Parteilinie, sodass sie sicher sein können, bei den anderen beliebt zu sein („genauso richtig“, „das denke ich auch“). Sie schaffen es auf diese Weise vielleicht schon sehr früh, auf einer Wählerliste ganz nach oben zu gelangen, um dadurch die Chance zu bekommen, als Abgeordneter in einem Parlament zu landen.
· Bescheidenheit ist keine Zier: Sich zurückzuhalten ist nicht gerade die Stärke eines Politikers, sondern im Gegenteil: Er trumpft auf, wo er kann, ist völlig von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt und gibt sich nicht zurückhaltend, sondern stets forsch und selbstbewusst. Er suggeriert anderen, dass er genau weiß, was er will, dass er fähig wäre, eine Sache voranzutreiben. Wer so agiert, der wird stets ein hohes Maß an Selbstbewusstsein ausstrahlen, das auf andere anziehend wirkt, sofern diese glauben, dass ihre Fähigkeiten nicht an die des wortführenden Parteikollegen heranreichen. Ob er sich dabei vielleicht überschätzt, sich also besser einstuft als er wirklich ist, das ist die spannende Frage. Zur Stabilisierung seines überhöhten Selbstbewusstseins trägt eine treue Gefolgschaft bei, die ihn stets in seiner Selbsteinschätzung bestätigen – dies wohl auch im eigenen Interesse.
· Gefolgschaft generieren: Diese Art der Gefolgschaft zu genieren, führt zu einer weiteren Fähigkeit des Politikers, denn er muss es schaffen, andere von sich und seinen Ideen zu überzeugen. Er will dabei die Führerschaft in jeder Hinsicht übernehmen und den Gefolgsleuten suggerieren, dass es ohne ihn nicht funktionieren kann, dass sie auf ihn in gewisser Weise angewiesen sind, um eine politische Idee voran zu bringen. Wer es also geschafft hat, sich in einer Partei emporzuarbeiten, ist auf die treue Gefolgschaft derer angewiesen, die von dem Glauben angetrieben werden, auch einmal so weit zu kommen wie der von ihnen verehrte Führer. In jedem treuen Gefolgsmann steckt also ebenfalls ein potentieller Konkurrent, der nur auf einen Ausrutscher des Führers wartet, um selbst nach oben zu gelangen. Durch eine Günstlingswirtschaft wird die Gefolgschaft bei Laune gehalten, denn wer es einmal geschafft hat, nach oben zu gelangen, verspricht den Anhängern eine gewisse Protektion auf gute Platzierungen auf Wählerlisten, um in ein Parlament gewählt zu werden.
· Freundschaft Mangelware: Der Konkurrenzdruck generiert Führerschaft und Gefolgschaft mit der ständig vorhandenen Gefahr, dass die Führer in ihrer Position irgendwann von den Gefolgsleuten attackiert und als Folge davon auch abgewählt werden. Deshalb darf ein Politiker nie auf wirkliche Freundschaft hoffen, denn jeder in seiner Partei ist eben ein möglicher Gegner, der nur auf eine Schwäche des anderen hofft. Deshalb kann es eigentlich keine Freundschaft geben, sondern nur wachsame Missgunst im Sinne eines auf der Lauer liegenden Raubtieres. Wer Politiker werden will, darf also nicht auf eine echte Kameradschaft hoffen, sondern muss sich auf einen mehr oder weniger offenen Krieg mit anderen einstellen, die ebenfalls versuchen, nach oben zu gelangen.
· Ziehvater gesucht: Politiker, die nach oben gelangen wollen, benötigen Unterstützung – am besten von denjenigen, die es geschafft haben. Der junge Emporkömmling wird also sich an der amtierenden Parteispitze orientieren und versuchen, mit ihm ein „gutes Verhältnis“ aufzubauen, damit dieser in protegiert. Die Protektion wird aber nie so weit gehen, dass der führende Politiker den „Emporkömmling“ an sich vorbei ziehen ließe, sondern diesen klar zu verstehen geben: Ich werde dich fördern – aber nicht über mich hinaus. Es sind die „Ziehväter“ in der Partei, die um sich treue Gefolgsleute versammeln, die in die Führungsriege aufsteigen wollen, um zunächst einmal im Parteivorstand vertreten zu sein. So entstehen informelle Machthierarchien, die auf Führung und Gefolgschaft aufgebaut sind, aber weniger auf wirkliche Freundschaft, sondern auf sich gegenseitig schützender Mechanismen: Der Führer braucht die Vasallen, um sich seiner Mehrheiten sicher zu sein, die er braucht, um wiedergewählt zu werden; die Vasallen ihrerseits sichern dem Führer ihre Unterstützung zu, um die Gunst der Protektion zu erhalten.
· Eigene Meinung – nicht unbedingt gefragt: Eine eigene Meinung zu entwickeln, ist nicht unbedingt erforderlich, sie gilt vielleicht sogar als hinderlich, wenn sie der Parteilinie nicht entspricht. Es gelangen vor allem diejenigen nach oben, die es geschickt verstehen, die mehr oder weniger offen kommunizierten Erwartungen der Parteikollegen zu erfüllen („Ja, genau meine Meinung“, „der sagt genau was ich auch denke“). Je mehr widersprüchliche, kontroverse Gedanken – auch wenn sie der eigenen Überzeugung entsprechen sollten – er von sich gibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er von anderen in bestimmte Positionen gewählt wird. Auf diese Weise entsteht ein enger Meinungskorridor, innerhalb dem ein erfolgreicher Politiker sich bewegen muss, um die Chance auf einen sozialen Aufstieg zu bewahren. Dadurch geschieht es, dass bei einem öffentlichen Auftreten die Aussagen von Politikern bestimmter Parteien vorhersehbar sind und wenig Überraschendes bieten.
· Skrupel hinderlich: Moralisches Handeln misst sich im Allgemeinen daran, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Wer im politischen Geschäft etwas werden will, muss an der Maxime scheitern, dass er immer das Wohl des anderen im Auge haben sollte. Dies liegt in der Natur des politischen Systems, denn es findet unweigerlich ein Auswahlprozess statt und nur wenige schaffen es, nach oben zu gelangen, um endlich einen begehrten Posten im politischen Betrieb zu erhalten. Deshalb darf jemand kein Mitleid mit denjenigen haben, die bei diesem Ausleseprozess auf der Strecke bleiben, notfalls muss er auch nachhelfen, wenn es nicht anders geht. Da werden gerne einmal Gerüchte über einen Konkurrenten verbreitet und versteckte Intrigen gesponnen, um einen unliebsamen Parteikollegen aus dem Weg zu räumen. Moralisches Denken und Handeln findet nur im Rahmen von Nützlichkeitsüberlegungen statt. Deshalb ist der Utilitarismus unter Politikern weit verbreitet.
· Abgehobenheit als Regelfall: Derjenige, der es geschafft hat, nach oben zu gelangen, hebt unweigerlich ab, wird sich wenig Gedanken machen, wie es wirklich denjenigen geht, die ihn direkt gewählt oder ihm indirekt ein Mandat über eine Wählerliste gegeben haben. Diese Abgehobenheit resultiert aus der Abstinenz im Hinblick auf Erfahrungen, die jeder normale Mensch machen muss, der in einer Gesellschaft um sein Überleben kämpfen muss: Die Sorgen, die eigene Existenz durch eigene Hände Arbeit zu sichern, die Sorgen, dass er und seine Familie auch davon leben kann, was er verdient. Der moderne Politiker in unserem politischen System ist ausgestattet von selbst geschaffenen Privilegien, die mit einer Mandatsübernahme verbunden sind, denn es winkt eine sichere, vom Steuerzahler gesponserte Bezahlung und weitere Vergünstigungen bis hin zur kostenlosen Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Deshalb verstehen diese Art Politiker auch nicht mehr die Alltagssorgen ihrer Wähler und werden ärgerlich, wenn sie daran erinnert werden. Sie leben in einer selbst geschaffenen Blase, die sich durch eine dicke Membran auszeichnet, die sie von der normalen Welt der Wählerschaft trennt.
· Gemeinwohl uninteressant: Die Sorgen um das Wohl des Volkes bereiten dem abgehobenen Politiker keine schlaflosen Nächte. Der Grund ist einfach der, dass die ihn gar nicht interessieren. Die Abgebhobenheit über die Alltagssorgen bewirkt eine regelrechte Arroganz, sich über diese hinwegzusetzen, sie nur in seinen Sonntagsreden zu erwähnen, um sich gegenüber dem Wähler zu tarnen, damit er nicht als egoistischer Machthaber sofort auffällt. Wer tatsächlich am Gemeinwohl interessiert ist, hat kaum Aussicht auf ein langes Politikerleben, weil dieses auch oft den Partialinteressen mächtiger Lobbyverbände zuwider läuft. Die wirtschaftlichen Interessen, die ein auskömmliches bis hin zu einem luxuriösen Leben einzelner ermöglichen, befördern ein eher dem Gemeinwohl entgegen laufendes politisches Geschäft. Wer sich als Politiker dagegen stemmt, wird sehr schnell merken, dass er damit auf massive Widerstände stoßen wird.
· Machthunger als Ersatzbefriedigung: Der „Wille zur Macht“ ist ein markantes Kennzeichen eines Politikers. Wer über andere herrschen will, braucht keine Rücksicht auf andere nehmen, denn diese behindert die Machtausübung. Die Möglichkeit, seinen eigenen Willen durchzusetzen, zu bestimmen, wie andere Menschen zu leben haben, stellt eine Ersatzbefriedigung eines Bedürfnisses zur Selbstverwirklichung dar, um die eigene Minderwertigkeit zu kaschieren. Weil er sich von anderen zurückgesetzt fühlt, weil er irgend einen Makel hat, weil er nicht fähig ist zu echten, freundschaftlichen Beziehungen, neigt er dazu, hierfür einen Ersatz zu schaffen, um sein Ego zu stabilisieren. Die Machtausübung verschafft das nötige Hochgefühl, anderen zeigen zu können, wie einflussreich er sein kann, wie sehr es ihm gelingt, auf den Sprossen der Leiter ganz nach oben zu kommen. Die Ausübung der Dominanz ermöglicht es, zu einer scheinbaren Selbsterfüllung für ein wirkliches Leben zu gelangen. Die Ausübung von Macht wird zum Selbstzweck, um die eigene Herrschaft zu sichern.
· Selbst- und Machterhalt um jeden Preis: Ein Politiker, der es geschafft hat, in eine bestimmte politische Position zu kommen, wird diese um jeden Preis verteidigen. Der eigene Überlebenswille stellt sich dabei gegen das, was der Allgemeinheit dienlich sein könnte. Ausgestattet mit einer gewissen Skrupellosigkeit schafft es der Politiker meistens, seine Macht zu behalten, denn für ihn geht es immer primär um die eigene Person – das war von Anfang schon so. Der ausgeprägte Narzissmus ist somit ein ausgewiesenes Merkmal eines Politikers, der einen ausgeprägten Machtinstinkt hat. Er entwickelt mit der Zeit eine Fähigkeit, die seine Position gefährdenden Personen rechtzeitig erkennen zu lassen, die er beizeiten aus dem Weg räumt.
· Vasallen erwünscht: Um sich herum, je länger ein Politiker in einem politischen Amt ist, versammeln sich willfährige Vasallen, die ihm schmeicheln, ihm nach dem Munde reden, die ihn hofieren und nach außen schützen. Sie werden belohnt mit sicheren Jobs, solange sie dem mächtigen Amtsinhaber nützlich sind. Sie wissen genau, dass sie auf der „Abschussliste“ stehen, sobald sie ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden. Diese Mitläufer, Nutznießer der Mächtigen, gab und gibt es in jedem zur Totalität neigenden politischen System. Sie sind Parasiten par excellence, die alles mitmachen, ohne hierbei ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Sie stammen aus dem politischen Milieu, aus dem sich auch der mächtige Amtsinhaber rekrutiert hat und warten vielleicht insgeheim auf eine Schwäche des von ihnen beschützten politischen Führers, um einmal selbst an dessen Stelle treten zu können. Vom „nützlichen Idioten“, der alles mitmacht, nur um ein bisschen Lob des Führers zu ergattern, bis hin zum skrupellosen, an das Machtsystem angepassten „Systemler“, der in und von dem herrschenden politischen System lebt, ist hierbei alles vertreten, was an menschlicher Niedertracht hervorgebracht werden kann.
· Ausnahmen bestätigen die Regel: Aber es gab oder gibt sie doch noch, die wirklich anständigen, moralisch denkenden Politiker, die nicht so verdorben sind!? Sicher ist das so, aber sie stellen die Ausnahme dar, sie verschwinden entweder, indem sie selbst den Platz räumen, weil sie einen Fehler begangen haben und diesen eingestehen (was dem skrupellosen Prototyp des Politikers nie passiert), oder weil sie von ihren skrupellosen Politikerkollegen aus dem Amt gemobbt werden.
Ist Politik wirklich ein „schmutziges Geschäft“? Ja, ich glaube, dass derjenige, der wirklich noch nicht völlig moralisch verkommen ist, es meidet, dort Fuß zu fassen. Er wird sich lieber einen „anständigen Beruf“ aussuchen, in dem er wirklich noch Menschen dienlich sein kann. Sind die Politiker wirklich so schlecht? Ich glaube, dass sie so schlecht sind, weil das politische und gesellschaftliche System dies erlaubt. Es sind also nicht nur die aus moralischer Sicht gesehen unschönen Charakterzüge des einzelnen Menschen maßgeblich, sondern auch der allgemeine Zeitgeist, der vorherrschend ist, der dem charakterlosen Politiker die Bühne bereitet. Dieser Zeitgeist ist materialistisch und gottlos geworden und geprägt von der Hybris eines Menschentypus, der sich anmaßt, selbst Gott spielen zu wollen – und damit unweigerlich scheitern muss.
PS: Der Einfachheit ist der Text im Maskulinum geschrieben. Der beschriebene Politikertyp kann männlicher oder weiblicher (oder meinetwegen auch diverser) Natur sein.
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