Statt einer merkwürdigen (20.) Woche: zwei konträre Weltbilder
Materielles versus spirituelles Weltbild
  
Weltbilder oder Weltanschauungen sind grundlegende Vorstellungen von der Welt, wie sie „von Anfang an“ gedacht waren und sind. Man könnte auch sagen: Sie sind Annahmen über das Vorhandensein von Grundvoraussetzungen über alles was ist, die unabhängig vom Menschen und seinem aktuellen Wissensstand a priori bestehen. Ich möchte grob zwei grundlegend voneinander unterschiedene Grundannahmen darstellen, die auch deutlich machen, in welchem Dilemma wir stecken: Dieses Dilemma besteht darin, dass wir ein hohes Bedürfnis nach dem Weltverständnis haben, gleichzeitig aber mit unseren begrenzten Möglichkeiten der Welterkenntnis zu kämpfen haben. Oder anders ausgedrückt: Wir möchten eigentlich gerne wissen, was dieser Welt zugrunde liegt, weil daran auch im Wesentlichen die Sinnfrage hängt, gleichzeitig aber müssen wir uns immer mit Teilwissen oder Teilerkenntnissen begnügen, die wir dann bruchstückhaft zusammensetzen.
Die zwei konträren Weltanschauungen könnte man grob bezeichnen als ein spirituelles und ein materielles Weltbild bezeichnen. Das Wort spirituell ist deshalb gewählt, weil es die im englischen Sprachgebrauch vorzufindende Unterscheidung des „Geistigen“ von „mind“ (Geistiges im mentalen, gedachten Sinne) und „spirit“ (als etwa „überirdisch“, nicht materiell Geistiges) in der deutschen Sprache nicht gibt. Wenn also vom Spirituellen gesprochen wird, dann gilt das im Sinne des im englischen Sprachgebrauch gemeinten nicht-materiellen, überirdisch Geistigen.
Das materielle Weltbild , das in unsere Zeit das naturwissenschaftliche Denken stark beeinflusst hat, geht von folgenden Grundannahmen aus: Alles, was wir an psychischen oder geistigen Prozessen sowohl beim Menschen als auch in der Natur beobachten können, hängt von einer materiellen oder stofflichen Grundlage ab. Während ich also z. B. diese Sätze denke und gleichzeitig niederschreibe, ist das das Ergebnis der Tätigkeit des Gehirns. Ohne dieses Gehirn wären also diese Abläufe nicht möglich. Sie sind somit die absolute Grundlage mentaler Abläufe. Die logische Folge ist, dass diese mentalen Prozesse enden, sobald das Gehirn seine Tätigkeit einstellt. Dies ist spätestens mit dem Tod der Fall. Für einen materiell denkenden Menschen gibt es also jenseits des Todes keine mentalen Aktivitäten, sie enden mit der Vollendung des Sterbeprozesses durch den biologischen Tod. Wenn dieses materielle Weltbild angewandt wird heißt dies konkret: Es gibt kein Leben vor der Geburt – jedes Individuum entsteht einfach mit der Befruchtung einer Eizelle durch einen Samenzelle, wenn man es jetzt auf die geschlechtliche Vermehrung bezieht – und auch keines nach dem Tod. Das Individuum existiert also nur einmal und kommt nicht wieder. Das gilt für den Menschen, aber auch für Tiere, allemal die Säugetiere, zu denen der Mensch rein biologisch gerechnet wird. Aber auch einzelne Pflanzen haben nur ein durch Zeitablauf begrenztes Dasein. Der Baum z. B. beginnt sein Leben mit dem Einpflanzen eines Samenkorns in der Erde. Er wächst heran und stirbt irgendwann und zerfällt wieder in seine Einzelteile und wird somit wieder zur Nahrung für andere Organismen. Der materialistisch denkende Mensch ist also der Auffassung, dass alles was existiert, nur als Einzelereignisse im kosmischen Geschehen angesehen werden können. Jedes Individuum kämpft in der für ihn bestehenden Welt den paradoxen Kampf ums Überleben, so wie dies die Evolutionisten behaupten, der aber deshalb als paradox bezeichnet werden kann, weil er nicht zu gewinnen ist, denn der Tod ist schon bei der Geburt der ständige Begleiter des Lebens. Wir und alle Kreaturen der Welt können diesen Kampf nie gewinnen, obwohl wir jeden Tag so tun, als wäre dieser Kampf lohnenswert und erstrebenswert. Dies betrifft aber nicht nur die Individuen der Welt zu, sondern für den gesamten Kosmos. Er ist nach der „Urknalltheorie“ irgendwann „von selbst“ entstanden, wird aber auch irgendwann auch wieder vergehen, entweder, in dem alle Energievorräte des Weltalls sich verbraucht haben, oder alles in einem gigantischen „schwarzen Loch“ verschwindet. Für Materialisten gibt es keine „paranormalen“ Vorgänge wie Spuk, Geister, Engel oder Dämonen, geschweige denn einen Gott. Alles existiert in seiner Totalität nur auf der materiellen Grundlage der Aktivität von Atomen. Wie kann aber dieses Leben dann sinnvoll sein? Es hat keinen absoluten Sinn, würde ein Materialist sagen, außer dem, den wir selbst diesem Leben verleihen. Wir sind dann diejenigen, die den Sinn des Lebens selbst definieren müssen. Es gibt für ihn auch kein Schicksal, keine Vorherbestimmung, keine mystischen Begebenheiten, sondern alles ist eine Reihe von Zufällen, denen wir nur aufgrund unserer Gedanken eine Bedeutung geben. Wenn wir dieses übertreiben, dann kann es passieren, dass wir wahnsinnig werden, weil wir hinter allen scheinbar zufälligen Ereignissen eine innere Bedeutung beimessen, die diesen aber nicht zukommen. Wer also zu viel in diese zufälligen Ereignisse hineininterpretiert, leidet nach seiner Auffassung an einem „Beziehungswahn“, nach dem er alles mit sich selbst in Verbindung bringt, was in der Welt geschieht. Für ihn ist es umgekehrt: Es gibt keine geheimen oder geheimnisvollen hinter den Geschehnissen in der Welt gelegenen Ursachen. Wir sind nur Spielball eines eher erbarmungslosen Geschehens, dem wir nur versuchen können, unsere eigenen Bemühungen entgegenzusetzen, uns in diesem Spiel einzubringen, um es nach unseren Vorstellungen zu beeinflussen.
Das spirituelle Weltbild ist dem materialistischen entgegengesetzt. Hier ist alles was existiert das Ergebnis des Geistes. Das Geistige ist also der Grund dafür, dass überhaupt etwas vorhanden ist (erstes Gesetz der „hermetischen Gesetze“). Der Gedanke, der in meinem Gehirn entsteht, wenn ich diese Sätze formuliere und niederschreibe, setzt nur das Gehirn in Bewegung, damit die mentalen Prozesse in Gang kommen und diese dann auch durch motorische Aktionen zu beobachtbaren Worten und Sätzen führen, die dann zu Papier gebracht werden. Das Gehirn ist gleichsam nur das Werkzeug des Geistes, vergleichbar mit einem Computer der vom User benutzt wird. Das Gehirn erzeugt keine eigenen Gedanken, so wie ein Computer nur elektronische Aktionen im Wechsel von Nullen und Einsen kennt, sondern ist auf den „Input“ angewiesen wie bei einem Computer, an dem der Benutzer sitzt und durch seine Eingaben diesen zur Tätigkeit animiert. Der spirituell denkende Mensch geht sogar noch über diese Vorstellung hinaus, indem er annimmt, dass noch nicht einmal das Gehirn notwendig ist, um geistige Prozesse in Gang zu bringen. Es ist ein nützliches Instrument, um in unserer stofflichen Welt agieren zu können. Befindet sich der Geist nicht mehr in der für uns wahrnehmbaren Welt – z. B. während einer „Astralreise“ oder spätestens nach dem Tod – dann agiert er auch nicht mehr in ihr, sondern befindet sich in einer Art „geistigen Welt“. Diese geistige Welt ist die wahre Heimat des Geistes, in die jeder nach seinem irdischen Tod zurückkehrt. Diese Formulierung gebrauchen auch viele Menschen, die so genannte „Nahtoderfahrungen“ haben, die nach einem „außerkörperlichen Ereignis“ den Kontakt zu dieser jenseitigen Welt herstellen, aber dann wieder in ihren physischen Körper zurückkehren. Sterben ist für einen spirituellen Menschen also nur eine Art „Dimensionswechsel“, bei dem die irdischen Gefilde verlassen werden. Das jeweilige individuelle Leben ist nicht nur ein zufälliges Ereignis in einem Kosmos, sondern eingebettet in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang. Für einen spirituell denkenden Menschen ist also die Art und Weise, wie sich sein Leben gestaltet, in welche Lebenssituationen er gerät, welchen Menschen er begegnet, welche Möglichkeiten sich ihm bieten aufgrund seiner individuellen Begabungen und Lebensumstände, nicht eine zufällige Kombination von zufälligen Gegebenheiten biologischer Art oder gesellschaftlicher Konstellationen. Für ihn stellen sich diese als durchaus gewählte Herausforderungen dar, die er nach einem ihm in der Regel nicht bewussten „Lebensplan“ so ausgewählt hat. Dieser Plan soll bereits vor dem Leben festgelegt worden sein in Absprache mit anderen „Seelengeschwistern“ in der geistigen Welt. Da für ihn das materiell wahrnehmbare Weltall nur eine Facette der Gesamtwirklichkeit darstellt, dessen Existenz oder Nichtexistenz für das geistige Leben unerheblich ist, macht er sich auch keine Gedanken darüber, was aus diesem Kosmos einmal werden wird, weil die „ewige Existenz“ nicht stofflicher Art ist. Die Sinnhaftigkeit allen Seins steht für ihn außerhalb des für uns sichtbaren Weltgeschehens, das für ihn nur eine Bühne ist, auf der sich das abspielt, was im geistigen Reich geplant, gedacht und angestoßen oder irgendwie in Gang gesetzt wurde. Die wahren Akteure dieses Weltgeschehens stehen also für ihn hinter der Bühne. Sie sind gleichsam die Drehbuchautoren, die die Stücke geschrieben haben. Wir sind nur die Schauspieler, die versuchen, die Rollen „gut zu spielen“ die vorgeschrieben wurden. Alles was existiert, sei es auf der unteren Ebene unserer stofflichen Welt (Mineralien, Pflanzen) oder auf der höheren Ebene (Säugetiere, Menschen – vielleicht auch außerirdische Daseinsformen) hat seine essentielle Verankerung in der geistigen Welt, aus der alles hervorgegangen ist. Dort gibt es auch – wie in der stofflichen Welt – weiter entwickelte Wesen oder aber auch solche, die „zurückgeblieben“ sind. Diejenigen der spirituell eingestellten Menschen, die an einen „Weltschöpfer“ – in den meisten Fällen Gott genannt – glauben, sehen ihn als den Urheber und das Ziel allen physischen und nicht-physischen Seins. Dieser hat nach ihrer Auffassung die Regeln geschaffen, nach der die geistige und stoffliche Welt funktionieren soll und denen sich keiner entziehen kann. Wer dies dennoch tut, gilt als zu den „abgefallenen Wesen“ (Teufel, Satan, Dämonen in der christlich-jüdischen Tradition – in der islamischen Welt Djnn genannt) zugehörig, die versuchen, die Menschen im ewigen Kampf zwischen hellen und dunklen Mächten stehend zu verführen.
Der „Kampf der Welten“ besteht also
im Kampf zwischen konträr sich gegenseitig ausschließenden Weltanschauungen, die
a priori (also bereits vor der Interpretation der Welt stehend) miteinander in
Konkurrenz stehen. Ich habe mich für das spirituelle Weltbild entschieden, das
für mich nicht nur tröstlicher ist als das materielle, sondern auch stimmiger
und schlüssiger erscheint. Das Weltbild entscheidet aber für mich nicht nur darüber,
wie ich die Welt interpretiere, sondern wie ich in ihr agiere, also auch
insbesondere über meine eigenen moralischen Grundsätze, nach denen ich versuche
zu handeln. Mir erscheint der heute weit verbreitete Egoismus auf der Basis
eines materiellen Weltbildes logischer begründbar. Denn wenn das Leben wirklich
nur ein einzelnes Ereignis in einem an sich nicht sinnvollen Weltalls ist, macht
es auch keinen Sinn, sich nach „höheren moralischen Grundsätzen“ zu
orientieren, sondern vornehmlich für die kurze Zeit unserer Existenz für die
besten Überlebenschancen zu kämpfen – auch wenn dieser Kampf nicht gewonnen
werden kann. Deshalb ist die Verdrängung des Themas Tod die folgerichtige
Denkweise eines Materialisten, der nicht an eine Weiterexistenz nach dem Tod
glaubt. Da ich, der ich dem spirituellen Weltbild anhänge, an die
Weiterexistenz glaube und auch daran, dass es nicht egal ist, nach welchen
moralischen Grundsätzen ich gelebt habe, bin ich auch eher bereit, die nicht
angenehmen Seiten einer irdischen Existenz zu akzeptieren in der Hoffnung, dass
die Sinnhaftigkeit allen Seins dieser Welt vorausgeht und diese letztendlich
bestimmt.
Bildnachweis: https://www.hs.uni-hamburg.de/DE/GNT/fhs/weltbild.php 









