Wie fällt man richtige Entscheidungen?
Man kann sich nicht nicht entscheiden - keine Entscheidung kann revidiert werden - Vogelperspektive
Wir müssen jeden Tag Entscheidungen fällen, wobei manche banal sind, wiederum andere sehr weitreichende Folgen haben können. Wie das Wort schon sagt, scheidet man etwas aus, was man nicht will und entscheidet sich für etwas, was man für richtig hält. Es ist vergleichbar mit einer Weggabelung, vor der man steht: Geht man nach links oder geht man nach rechts? Mir scheinen folgende Aspekte der Entscheidungsfindung wichtig zu sein:
1. Man kann sich nicht nicht entscheiden : Grundsätzlich ist es so, dass jeder um Entscheidungen nicht herumkommt. Auch wenn man glaubt, dass man keine Entscheidung getroffen hat, hat man sich dafür entschieden, etwas im Augenblick nicht zu entscheiden. Man verschiebt eine Entscheidung. Aber im Grunde genommen hat man doch Entscheidung getroffen, nämlich sich zu einem bestimmten Problem keine Entscheidung zu fällen. Selbst die simple Entscheidung, morgens aufzustehen, ist eine Willensentscheidung, die man treffen muss: Entweder man bleibt liegen – dann hat man sich schon entschieden, nicht aufzustehen – oder man steht auf, dann hat man die Möglichkeit ausgeschlossen, liegen zu bleiben.
2. Keine Entscheidung ist rückgängig zu machen: Diese Aussage könnte erstaunen. Selbstverständlich, kann ich, wenn ich will – so wird mancher denken – eine Entscheidung rückgängig machen! Nein, kann niemand. Denn dann müssten wir in der Lage sein, uns in die Situation zurückzuversetzen, in der wir waren, bevor wir die Entscheidung getroffen haben. Wir müssten die Uhren zurückdrehen, also in die Vergangenheit reisen können! Und das hat glaube ich noch niemand geschafft. Wir können die Zeit nicht anhalten, geschweige denn zurückdrehen. Wir sind Gefangene einer unerbittlich fortlaufenden Zeitschiene, auf der wir uns entlang bewegen, und zwar immer nur in eine Richtung: in die Zukunft.
3. Vogelperspektive oder Ameisenperspektive: Wenn wir uns vor Entscheidungen nicht drücken und keine Entscheidung rückgängig machen können, dann sind damit schon Aspekte erkannt, die uns in unserer Entscheidungsfreiheit einschränken. Wie kann man aber trotzdem eine Erweiterung der Perspektive erreichen? Eine vielleicht sinnvolle Methode ist es, die Vogelperspektive einzunehmen. Wir stellen uns vor, wir könnten uns in die Luft erheben und die möglichen Folgen einer Entscheidung vorausahnen. Die Ameise läuft auf dem Boden herum und kann nicht die größeren Zusammenhänge erkennen, weil ihr die Weitsicht fehlt. Ein Vogel hat aber aufgrund seiner Höhe eine größere Sichtweite und ist deshalb in der Lage vorauszuschauen, wohin er fliegen kann. Gleichsam ist auch der Mensch in der Lage, die Folgen seiner Entscheidungen zu antizipieren, in dem er sich ausmalt, welche Konsequenzen seine Entscheidung haben könnten. Dazu stehen ihm seine Erfahrungen und auch die Phantasie zur Verfügung. Die Erfahrungen helfen ihm, schon bereits erlebte Situationen mit der jetzigen Lebenslage zu vergleichen, um daraus Lehren zu ziehen: Wie hatte er sich damals entschieden und hatte er damit Erfolg oder nicht. Die Phantasie hilft ihm dazu, sich vorzustellen, wie sein Leben in Zukunft aussehen könnte, wenn er die eine oder andere Entscheidung trifft.
4. Freiheit oder Vorherbestimmung: Können wir frei entscheiden? Die Gedanken sind frei, heißt es in einem bekannten Volkslied. Aber sind sie das wirklich? Über die Frage der Freiheit haben sich schon viele Gedanken gemacht. Es gibt hierbei zwei extreme grundsätzliche Annahmen: Wir sind frei in unseren Entscheidungen, weil wir vernunftbegabte Wesen sind. Wir sind in unseren Entscheidungen festgelegt durch unsere Natur (lebenserhaltende Triebe ver- oder behindern uns gegen diese zu entscheiden), unsere Kultur (menschengemachte Gesetze, Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche schränken uns ein) und durch unsere Vorentscheidungen.
· Biologische Determination: Versuchen wir einmal die Luft anzuhalten. Eine Zeitlang geht das, doch irgendwann geben wir nach und holen frische Luft in unsere Lungen. Diesen Überlebenstrieb zu unterdrücken dürfte schwer fallen. Auch der biologische Rhythmus, etwa der zwischen Wach- und Schlafphasen, ist kaum zu unterdrücken. Wir können durch Kaffee und andere anregende Mittel versuchen, wach zu bleiben, doch irgendwann übermannt uns die Müdigkeit und wir schlafen ein. Hunger und Durst zu unterdrücken dürfte auch schwer fallen. Die biologischen Fakten sind eindeutig: Wenn es um das eigene Überleben geht, sind unsere Entscheidungsmöglichkeiten zumindest stark eingeschränkt, sie gehen fast gegen Null.
· Kulturelle Determination: Am ehesten erscheinen die kulturellen Prägungen relativierbar zu sein. Wir müssen nicht alles mitmachen, was uns die Kultur vorgibt. Wir haben hier die Freiheit, z. B. unsere Steuern an den Staat nicht zu zahlen. Aber wir müssen mit den negativen Konsequenzen rechnen, wenn wir dies nicht tun: Wir müssen mit Zwangsgeldern oder sogar mit Haft rechnen, wir unsere Einkommenssteuererklärung nicht abgeben und werden gepfändet bis auf unsere Existenzminimum und verlieren unser Vermögen. Zwei unterschiedliche Druckmechanismen können wir unterscheiden: Das erste ist die Durchsetzungsmöglichkeit aufgrund von Autorität und die zweite ist die durch Gruppendruck. Die autoritäre Variante reicht von Gesetzen und Verordnungen bis hin zu Vorgesetzen in einem Betrieb. Der Gruppendruck beinhaltet die Möglichkeit der Gruppe, jemand als Außenseiter zu stigmatisieren, zu drangsalieren oder ganz auszuschließen, falls sich jemand nicht dem Willen der Gruppe beugt. Der Ausschluss aus der Gruppe – wenn wir dies ganz weit fassen und auf die Volksgemeinschaft beziehen – bewirkt u. U., dass jemand seine Lebensgrundlage verliert. Im Mittelalter gab es noch die Variante des Ausschlusses aus der Gemeinschaft, jemand für „vogelfrei“ zu erklären, was bewirkte, dass der Ausgeschlossene keinerlei Rechte mehr hatte und selbst seine Ermordung straffrei blieb.
· Entscheidungsdetermination: Ich nenne die Abfolge von Entscheidungen, bei der die eine Entscheidung eine andere Entscheidung nach sich zieht und der Entscheidungsspielraum bei jeder weiteren Entscheidung immer enger wird, als Entscheidungsdetermination. Bereits bei der ersten Entscheidung weiß man bereits oder ahnt es, worauf die ganze Sache hinzielt. Aber oft ist es so, dass man die interne Warnblinklampe nicht sieht oder das leise Raunen der inneren Stimme, die sagt, lass es lieber, überhört wird. Die Frau, die auf einen Heiratsschwindler reinfällt, lässt sich durch die charmanten Reden des netten Herrn einlullen (1. Entscheidung), der es versteht, gleich bei der ersten Begegnung sie geschickt zu umgarnen, es folgen weitere Schritte: Man trifft sich irgendwo in einem Lokal (2. Entscheidung) und der Mann ist sehr galant und lädt sie zum Essen ein. Bei dem nächsten Treffen sagt er, dass seine Geldbörse vergessen hätte. Sie bezahlt das Essen (3. Entscheidung) und so setzt sich die Strategie des Mannes fort, denn immer, wenn sie sich wieder treffen, hat er kein Geld dabei. Er kann dies auch immer gut begründen und die Frau ahnt vielleicht etwas, aber sie will nicht auf ihn verzichten, da er ein so brillanter Erzähler ist und irgendwann berichtet er auch von seinen großen wirtschaftlichen Plänen. Man ahnt es, worauf die Sache hinausläuft – die Frau merkt es vielleicht auch intuitiv, aber mit wachsender Beziehung ist die Frau in eine Falle getappt: Gibt sie der inneren Stimme recht, und verweigert jede finanzielle Beteiligung, dann ist die Beziehung beendet; tut sie es nicht, dann verspricht sie sich davon, dass er bei ihr bleibt – und dass er gar nicht so schlimm ist wie sie befürchtet. Die Falle heißt Entscheidungsdetermination, denn mit jeder weiteren Entscheidung, dem Drängen des Mannes nachzugeben, engt sie ihren Entscheidungsspielraum immer mehr ein, so dass nur noch der „Sprung ins kalte Wasser“ retten kann. Denn hilft sie ihm nicht weiter finanziell, dann muss sie sich sagen, dass sie das bisherige Geld vergeudet hat, sie würde sich selbst anschuldigen („kann ich so dumm gewesen sein?“) und die bisherigen Aufwendungen als glatten Verlust verbuchen müssen. Der Entscheidungsbaum begann, als sie das erste Mal ihm Geld gegeben hatte, ohne weiter nachzufragen. Beim nächsten Mal wird eine weitere Entscheidung hinsichtlich der Plünderung ihres Vermögens unternommen, ohne dass sie das klar durchschaut hat. Wie kann man dem begegnen? Bei dem ersten Hinweis, auf was die Sache hinausläuft, sollte man sich bereits ausklinken. Ruft bei mir jemand an und verspricht mir durch ein Spiel oder ein Quiz einen Gewinn, dann lege bereits den Hörer auf, ohne weiter auf das Gespräch einzugehen, denn ich weiß auf was die Sache hinausläuft: Man will mir irgendetwas verkaufen, sei es ein Produkt, das ich gar nicht brauche, oder eine Versicherung andrehen, die völlig überflüssig ist. Hier bewährt sich der Sinnspruch: Wehret den Anfängen.
Wie können wir uns selbst helfen, richtige Entscheidungen zu fällen. Hierzu ein paar Hinweise:
· Richtiges Timing : Es kommt nicht nur auf die richtige Entscheidung an, sondern auch auf den richtigen Zeitpunkt. Ein simples Beispiel: Wenn ich mich entscheide, eine Reise anzutreten, die für mich vielversprechend ist, verpasse aber den Zug, um zur rechten Zeit anzukommen, nützt mir diese Entscheidung nichts mehr, auch wenn sie in der Sache richtig war.
· Entscheidungsdilation : Manchmal kann es geschickt sein, den Entscheidungsraum zu vergrößern, d. h. man überlegt sich noch andere Optionen, also man lässt sich nicht von vornherein auf scheinbar festgelegte Möglichkeiten ein. In dem Beispiel mit dem Heiratsschwindler lässt sich die Frau vorschnell nur auf die Alternative zahlen oder nichtzahlen einengen. Es wäre auch möglich, in solchen Fällen, in denen der Mann die Bitte nach finanzieller Hilfe eröffnet, nach anderen Hilfen Ausschau zu halten. Die andere Art der der Dilatation ist die, Zeit zu gewinnen. Verkaufsstrategen wollen uns immer zu schnellen Entscheidungen bringen, in dem sie uns vorgaukeln, es gäbe keine Zeit und nur wenn man jetzt schnell zugreife, könne man eine günstige Kaufoption nutzen. Dies sollte uns warnen, dass an der Sache etwas faul ist und uns veranlassen, inne zu halten. Der Zeitgewinn kann auch ein Gewinn sein.
· Moralische Gesinnung prüfen : Es gibt kaum Entscheidungen, die nicht aufgrund eigener Wertvorstellungen gefällt werden. Wenn ich überlege, was mir etwas bedeutet, warum mir etwas wichtig ist, kommen immer moralische Grundsätze zum Vorschein. Selbst die simple Entscheidung morgens aufzustehen korrespondiert mit moralischen Grundsätzen: In dem ich aufstehe, gebe ich nicht dem natürlichen Drang nach, im Bett zu bleiben, weil ich noch müde bin, sondern weil mich etwas anderes antreibt, was mir wichtig erscheint. Es kann die Arbeit sein, der man nachgeht (Arbeitsmoral), es kann die Auffassung sein, dass man nicht der „Todsünde“ der Trägheit erliegen will (Streben nach tugendhaften Verhalten) oder es steht ein Treffen mit einem Menschen an, mit dem man sich zu einer bestimmten Uhrzeit verabredet hat (soziale Verpflichtung).
· Autoritätsdruck und Gruppenzwang aushalten : Manche Menschen können es schwer aushalten, im Dissens mit anderen zu sein. Sobald sie merken, dass ihre Entscheidung auf wenig Gegenliebe stößt, wird es ihnen unwohl, sie versuchen dann doch noch zu überlegen, ob sie ihre Meinung nicht besser den Erwartungen anpassen. Aber auch dann merken sie, dass etwas nicht stimmt. Es kann sein, dass sie mit ihrer Anpassungsleistung sich selbst untreu werden. Sie verleugnen sich selbst und ihre Überzeugungen. Letztendlich muss jeder selbst überlegen was ihm wichtiger ist: Beliebt bei Autoritäten zu sein, in einer Gruppe kein Außenseiter zu werden oder sich selbst nicht zu verleugnen. Die Spannung auszuhalten, die durch den Dissens mit der Autorität oder der Gruppe entsteht, kann eine wichtige Lernaufgabe sein, die, wenn sie bewältigt wird, uns neues Selbstvertrauen gibt.









