Ist Toleranz doch nicht so toll?
Unduldsamkeit als Tugend gegen arrogante Rücksichtslosigkeit
Toleranz gilt als Errungenschaft demokratischer Gesellschaften, weil damit eine Vielfalt der Meinungen, Lebensauffassungen und Lebensarten garantiert scheint. Diejenigen, die diese Toleranz immer wieder einfordern, sind aber vielleicht gar nicht so tolerant, wie sie von sich selbst behaupten. Wie sieht es also aus mit der Duldsamkeit? Wird sie vielleicht am Ende übertrieben?
· Die Toleranz auf dem Prüfstand : Die Toleranz hat allgemein ein positives Image, weil sie als ein Garant erscheint, mit der Verschiedenartigkeit besser klar zu kommen, wie sie uns in Meinungen und Lebensweisen begegnet. Aber hat sie vielleicht auch eine Kehrseite? Die Übertreibung der Toleranz wäre die Willfährigkeit, also die Bereitschaft, alles zu tun, was andere fordern [1] , ohne dagegen aufzumucken. Diese Willfährigkeit könnte in einem erweiterten Verständnis auch das kritiklose oder widerstandslose Hinnehmen von Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten verstanden werden. Aber am besten könnte dies in einem „Wertequadrat“ dargestellt werden, wie die Toleranz einzuordnen wäre in einem erweiterten Verständnis der damit einhergehenden Begriffe. Das von Schulz von Thun entwickelte Konzept [2] sieht auf der positiven Seite (obere „Werteebene“) die parallel (bipolar) nebeneinander stehenden Begriffe, die in ihrer Übertreibung (untere Ebene) zu „Unwerten“ werden. Die eigentlichen Gegensätze stehen in der Diagonalen, die in dem Falle der Betrachtung der Toleranz einmal zwischen Unduldsamkeit (positiver Wert) und der Willfährigkeit (negativer Wert) bzw. der Duldsamkeit (positiver Wert) und der arroganten Rücksichtslosigkeit (negativer Wert) zu erkennen sind. Die arrogante, selbstunkritische Rücksichtslosigkeit in der Durchsetzung eigener Vorstellungen von dem, was subjektiv als „richtige Meinungen“ oder als „richtiges Verhalten“ gehalten wird, ist also die eigentliche Gegensätzlichkeit zur Duldsamkeit.
| Unduldsamkeit : Zurückweisende Abwehr von Feindseligkeiten und Ungerechtigkeiten durch Kampf zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit und Störung der Werte- und Normverletzung |
Duldsamkeit : Nicht verurteilende Hinnahme andersartiger, fremder, nicht mit eigenen Vorstellung übereinstimmenden Meinungen und Lebensweisen. |
| Arrogante Rücksichtslosigkeit : Selbstunkritische und rücksichtslose Durchsetzung eigener Meinungen und Lebensweisen durch militantes Verhalten |
Willfährigkeit : Die widerstandslose Hinnahme von Ungerechtigkeiten, Verletzungen und Anfeindungen jedweder Art |
Wertequadrat zur Toleranz
· Merkmale einer arroganten Rücksichtslosigkeit und ihrer Begegnung : Diese Art der Intoleranz begegnet uns im Alltag und in der Politik i. w. S., wenn Einzelpersonen, Gruppen von Menschen oder auch Institutionen ihre Vorstellungen, ohne auf die berechtigten Belange anderer Rücksicht zu nehmen, durchsetzen wollen.
o Militanz : Es ist erschreckend zu sehen, wie militant z. B. die so genannten „Klimakleber“ vorgehen. Sie blockieren Straßen, um dadurch den Verkehr zu behindern, beschmieren Kunstwerke, attackieren Gebäude mit ihren Schmierereien, behindern den Luftverkehr, verüben Gewalt gegenüber Menschen und Sachen [3] , wobei sie auch noch die Behauptung aufstellen, dass diese Aktionen gewaltfrei seien [4] . Diese Art des Protestes ist typisch für die Intoleranz von Personen, die glauben das Recht zu haben, ihre Auffassungen durchzusetzen, ohne dabei auf berechtigte Interesse anderer Rücksicht zu nehmen. Es ist doch erstaunlich, wie „tolerant“ die durch diese Aktionen Geschädigten mit den Provokationen umgehen. Statt mit Gegengewalt zu reagieren, warten doch die Autofahrer mehr oder weniger geduldig, bis die Polizei die Straßen von den „Klimaklebern“ geräumt hat. Die gewaltsame Gegenwehr stellt doch die Ausnahme dar. Wie würden diese Aktionen etwa in Russland oder China ablaufen? Dort würden diese Personen gar nicht erst auftreten, weil sie genau wissen, dass dort die Toleranz mitnichten so groß wie in Deutschland ist. Mit großer Toleranz – oder könnte man auch schon Willfährigkeit sagen? – begegnet die bundesdeutsche Gesellschaft diesen Aktionen. Diese große Toleranz wird anscheinend von dieser militanten Gruppe von vornherein einkalkuliert. Ähnlich militant begegnet uns die Genderideologie [5] , die rücksichtslos gegen eine schweigende Mehrheit durchgesetzt wird – die mal wieder sehr tolerant oder doch besser gesagt willfährig mitmacht.
o Dumme Arroganz : Die Arroganz ist erschreckend. Arrogant bedeutet in diesem Zusammenhang, dass kleine Gruppen glauben, ihre Vorstellungen seien die allein richtigen und andere Auffassungen absolut falsch. Es besteht gewissermaßen eine Überheblichkeit zu meinen, dass man „im Besitz der Wahrheit“ sei. Es wird nicht mehr die Auseinandersetzung in der Suche nach der Wahrheit gesucht, sondern felsenfest behauptet: Ich (wir) weiß (wissen) Bescheid. Diese Arroganz enthält auch ein hohes Maß an Dummheit, denn wer von sich behauptet, dass er nur wisse, was wahr ist, ist letztendlich dumm, weil nur der Weise zweifelt [6] .
o Gnadenlose Selbstvermarktung : Die militanten Personen oder Gruppen, die meinen, mit ihren Aktionen sich „für eine gute Sache“ einzusetzen, vermarkten sich eigentlich nur selbst. Es ist ein großer Grundbedürfnis eines jeden, aus der „grauen Masse“ der Menschen einmal hervorzuschauen, einmal irgendeine Bedeutung zu haben, die über das Alltagsgeschehen hinausragt, einmal die Beachtung und vielleicht auch Wertschätzung zu erleben, die er glaubt zu verdienen. Luisa Neubauer ist sicher die „Meisterleistung“ gelungen, auf der Welle des Klimaprotestes sich selbst erfolgreich vermarktet zu haben. Sie stammt aus der reichen Reemtsma –Familie [7] und musste nie für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen, sondern konnte sich deshalb voll in der Klimabewegung engagieren. Sie schreibt gerne Bücher, in dem sie sich selbst präsentiert [8] . Tut sie das wirklich alles, um der „Sache zu dienen“ oder stellt sie vielleicht doch nur „die Sache in ihre Dienste“, um sich erfolgreich selbst zu präsentieren? Viele der Klimaaktivisten legen es geradezu darauf an, durch ihre Aktionen aufzufallen, riskieren dafür auch Gefängnis – aber auch ein Höchstmaß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Tun sie das wirklich alles nur, um das Klima zu retten, wie sie selbst behaupten, oder könnte es sein, dass sie zumindest auch einfach nur in das Rampenlicht des öffentlichen Interesses geraten wollen?
o Arroganz der Macht : Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Politiker, die per Wahl in eine Position gebracht wurden (Abgeordneter) oder die in ein Ministeramt gehievt wurden, über große Macht verfügen. Diese Macht ermöglicht es ihnen, ihre Vorstellungen durchzusetzen, auch gegen Widerstände. Die grünen Minister wie Habeck oder Baerbock setzen gnadenlos ihre Agenda durch und hoffen auf die Willfährigkeit der anderen. Es gibt diese Willfährigkeit auf politischer Seite und auch in der Gesellschaft, da die grüne Ideologie von der hochstilisierten Gefahr des so genannten Klimawandels kaum noch öffentlich in Frage gestellt wird. Die Grundsatzfragen, ob denn tatsächlich der Mensch einen so großen Einfluss auf das Klima hat, ob denn eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur wirklich eine so große Gefahr darstellt, dürfen nicht mehr gestellt werden. Und so haben diese grünen Minister „Oberwasser“ und nur vereinzelt wird Kritik geübt, die sich meistens nur auf die Art und Weise der Durchsetzung der so genannten Klimaziele [9] richtet, aber diese nicht mehr grundsätzlich infrage stellt. Selbst die FDP, die auf ihrem letzten Parteitag sich gegen das geplante Gebäudeenergiegesetz [10] des Wirtschafts- und Klimaschutzministers ausgesprochen hat, wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Pläne zum so genannten „Klimaschutz“, sondern kritisiert, dass dadurch Menschen und auch die Wirtschaft überfordert werden könnten [11] . Es ist aber höchst zweifelhaft, ob dieser ominöse „Klimaschutz“ – ein Wort das sich so in das Bewusstsein eingefressen hat, dass keiner mehr wagt, dieses Unwort infrage zu stellen – tatsächlich diesen Vorrang verdient und nicht dadurch die anderen, eigentlich vorrangigen Nachhaltigkeitsziele der UN konterkariert werden [12] . Es könnte ja sein, dass durch eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur sich die Anbauflächen für den Ackerbau erweitern ließen, wodurch die Ernährungssituation der Weltbevölkerung verbessert und damit der Hunger als vorrangiges Nachhaltigkeitsziel besser bekämpft werden könnte. Hier wäre Mut und – im Hinblick auf die Toleranz – eine Unduldsamkeit gefordert, um sich gegen diese diktatorischen Maßnahmen zu stemmen. Auch im Hinblick auf den Ukrainekrieg wäre eine Unduldsamkeit gefordert, um gegen die Intoleranz einer mächtigen Elite von Kriegstrebern in der NATO – unter der Führung der USA - anzukämpfen, die glaubt, mit noch mehr Waffen einen Frieden erreichen zu können. Es ist fatal, dass Deutschland es nicht geschafft hatte, in diesem Konflikt neutral zu bleiben und sich in diesen Sog der Kriegstreiberei durch Willfährigkeit gegenüber der USA hat hineinziehen lassen. Warum sollen deutsche Steuerzahler einen Krieg mitfinanzieren, den sie nicht gewollt und den sie auch nicht zu verantworten haben? Hier hatte Frau Baerbock sich als eine Mitstreiterin dieser Militärpolitik herauskristallisiert, die auf den Willen ihrer Wähler keine Rücksicht nimmt [13] .
· Unduldsamkeit als Tugend: Die Unduldsamkeit als die Schwestertugend der Duldsamkeit ist ins Hintertreffen geraten und sollte mehr Beachtung finden. Wie wäre dies zu erreichen?
o Mehr Mut: Der Mut ist gefordert, sich gegen die Mehrheit zu stellen. Die persönlichen und allgemeingesellschaftlichen Erfahrungen lehren, dass nur der Mut von wenigen die notwendigen Veränderungen hervorgebracht hat, die zu einer Veränderung führen. Die allgemein verbreitete Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung führt zu einer Mutlosigkeit der „breiten Masse“, die willfährig alles mitmacht, nur um Isolation oder sogar auch existentielle Bedrohung zu vermeiden. Hiergegen sich zu wehren erfordert eine wirklich so verstandene Zivilcourage.
o Mehr Konfliktbereitschaft: Der Streben nach Konformität entspringt dem Wunsch, möglichst ohne Konflikte durchs Leben zu gehen. Die Tugend der Unduldsamkeit fordert eine gewisse Konfliktbereitschaft ein, macht sie gewissermaßen unumgänglich, wenn wir dieser Tugend wirklich Tribut zollen wollen.
o Mehr Gottvertrauen: Die ersten Christen hatten Mut bewiesen und sich gegen die herrschende Meinung der Priesterschaft gestemmt [14] . Dieser Mut ist einer Willfährigkeit gegenüber der Obrigkeit gewichen, die z. B. in der Corona-Krise sehr deutlich wurde. Die Kirchenoberen hatten nicht den Mut, gegen die Willkürmaßnahmen des Staates anzukämpfen und haben ihre „Schafe“ in ihren Lebenskrisen allein gelassen und auch Ungeimpfte ausgeschlossen. In einem offenen Brief von Pfarrer Jürgen Fliege und Hanns-Martin Hager hatten sich diese beiden mutigen Geistlichen an den Landesbischof von Bayern, Dr. Bedform-Strohm gewandt [15] . Sie kritisierten die stromlinienförmige Anpassung an die herrschenden Machtansprüche einer die Freiheitsrechte der Bürger ungebührlich einschränkenden Regierung und forderten ein mutigeres Vorgehen gegenüber staatlichen Autoritäten, was sie als zutiefst christlich ansehen, denn Jesus selbst scheute den Konflikt nicht mit der weltlichen oder priesterlichen Macht.
o Mehr Gelassenheit: Die ständige Sorge um unser Wohlergehen macht uns gefügig gegenüber der Intoleranz der Mächtigen. Die Gelassenheit, die dem Gottvertrauen folgt, ist eine Haltung die uns erlaubt, die Unduldsamkeit an den Tag zu legen, wenn diese erforderlich ist, um mit unserem Gewissen im Einklang zu leben. Sofern so etwas wie ein Gewissen noch vorhanden und dieses noch nicht abgestumpft ist, erlaubt dieses uns eigentlich keine Willfährigkeit dort, wo wir etwas tun oder unterlassen sollen, was unseren Prinzipien widerspricht. Die Gelassenheit resultiert aus dem Gottvertrauen, dass Gott niemand im Stich lässt, der ihm treu bleibt [16] .
Die Toleranz entpuppt sich oft beim näheren Hinsehen als reine Feigheit, sich zu seinen eigenen Werten zu bekennen und möglicherweise Nachteile in Kauf zu nehmen. Sie einseitig zu betonen und einzufordern führt letztendlich zum Kadavergehorsam braver Untertanen. Die Unduldsamkeit wird zu Unrecht verunglimpft und zu früh als Intoleranz abgestempelt. Wir sollten uns wieder mehr auf sie besinnen und sie auch pflegen.
© beim Verfasser
[3] Ausführlichere Darstellung hier: https://perikles.tv/1718-wird-heutzutage-zu-viel-politisiert
[4] https://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/mainz/stadt-mainz/ziviler-ungehorsam-in-zeiten-der-klimakrise-2356114
[5] Zur Genderideologie mehr hier: https://perikles.tv/1627-genderideologie-wie-gefaehrlich-ist-sie
[6] Bertrand Russell (1872 – 1970), britischer Philosoph, https://de.wikipedia.org/wiki/Bertrand_Russell , hat es so ausgedrückt: „Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel.“ https://leanderwattig.com/zitate/2021/es-ist-ein-jammer-dass-die-dummkoepfe-so-selbstsicher-sind-und-die-klugen-so-voller-zweifel-bertrand-russell/
[7] https://www.merkur.de/deutschland/luisa-neubauer-fridays-for-future-klima-aktivistin-vermoegen-millionaer-privat-proteste-92043472.html
[8] https://www.klett-cotta.de/buch/Tropen-Sachbuch/Gegen_die_Ohnmacht/582617 : Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich.
[9] Die UN-Klimakonferenz hatte 2015 festgelegt, dass die Erderwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts unter 2 Grad oder zumindest 1,5 Grad Celsius gehalten werden solle. Diesem hatte sich die Europäische Union und auch Deutschland angeschlossen. https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/europaeische-energie-klimaziele#zielvereinbarungen
[10] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/energetische-sanierung/geg-was-steht-im-gebaeudeenergiegesetz-13886
[12] Klimaschutz rangiert auf Rang 13 der 17 Nachhaltigkeitsziele, Vorrang haben z. B. noch Bekämpfung von Armut oder Hunger; https://unric.org/de/17ziele/
[13] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/baerbock-aussage-egal-was-meine-deutschen-waehler-denken-sorgt-fuer-aerger-81195656.bild.html
[14] Bekannt wurde die Aussage von Petrus angesichts der Verfolgung, als er sagte: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apostelgeschichte 5,29); https://www.bibleserver.com/de/verse/Apostelgeschichte5%2C29
[16] Das stärkste Indiz hierfür ist die Auferstehung von Jesus, siehe https://perikles.tv/1734-ostern-2023









