Nervenberuhiger
Gegenteile zu den Nervensägen
Gibt es neben den lästigen bis schädlichen Nervensägen auch das Gegenteil? Mir fällt dazu kein anderer Begriff als „Nervenberuhiger“ ein, ein Wort, das mein Rechtsschreibprogramm noch nicht kennt und deshalb entsprechend kennzeichnet. Aber mir fällt kein anderes Wort für Menschen ein, die uns gut tun, die gewissermaßen Balsam für unsere Seele sind, die in unserer nicht sehr freundlichen Welt regelrecht geschunden wird. Und jetzt kommt eine – sehr subjektive – Auswahl:
· Der wissende Unwissende [1] : Wie kann jemand, der nichts weiß, beruhigend sein? Wissen ist doch Macht! Nur wer etwas weiß, blickt doch durch, hat zumindest den gewissen Durchblick, hat wenigstens Ahnung von etwas! Leider neigen diese Menschen zur Besserwisserei, also zur Übertreibung im Hinblick auf das Bedürfnis, andere ihre Unwissenheit zu rauben und durch Wissen zu ersetzen. Der wissende Unwissende weiß aber, dass er nichts weiß, ist sich zumindest unsicher und gibt sich nicht nur nach außen hin als bescheiden („,das weiß ich auch nicht“, „das kann ich nicht mit Sicherheit sagen“), sondern ist auch in seiner inneren Gewissheit im Unklaren darüber, ob er überhaupt etwas sicher weiß. Dies muss nicht erkenntnistheoretisch abgeleitet sein - wir können eigentlich nichts sicher wissen, weil unsere Erkenntnismöglichkeiten begrenzt sind -, sondern kann auch rein intuitiv erspürt sein. Der wissende Unwissende ist deshalb beruhigend, weil seine Unsicherheit mit unserem eigenen Gefühl in Resonanz geht, auch im Unklaren zu sein, ob wir wirklich sicher sein können, alles genau zu wissen.
· Der Zweifler : Der Zweifler ist das Gegenteil vom Rechthaber. Denn er weiß als Unwissender, dass er eigentlich nicht sicher sein kann, alles besser zu wissen und wird deshalb im Meinungsstreit dies auch offen bekennen und eingestehen, dass er Zweifel hat daran, dass seine Erkenntnis oder seine Ansicht richtig sind und zugeben, dass sein Standpunkt eigentlich auf tönernen Füßen steht. Er igelt sich nicht wie der Rechthaber in seine Wagenburg des Besserwissens ein, sondern bekennt offen seine Unsicherheit. Sein Selbstwertgefühl hängt nicht davon, Recht zu behalten, so dass er jederzeit bereit ist, einzugestehen, dass er auch mal mit seinen geäußerten Meinungen falsch gelegen hat. Den Zweifler wird man selten in der Politik finden, weil er dort sehr schnell unter die Räder der Rechthaber geraten wird, die glauben, alles besser zu wissen. Sein Zaudern wird ihm als Schwäche ausgelegt werden. Auch als Staatsanwalt oder Richter wird er ungeeignet sein, weil seine Zweifel an seinem eigenen Urteil ihn daran hindern würden, andere Menschen anzuklagen oder zu verurteilen. Er ist deshalb ein angenehmer Zeitgenosse, weil er mit seiner defensiven Einstellung und Vorgehensweise nicht übergriffig ist und andere in ihrem Sosein nicht kritisieren wird.
· Der Ermutiger: Gibt es ein Gegenteil vom Bevormunder? Es könnte der Ermutiger sein, also jemand, der nicht den anderen „über den Mund fährt“, ihnen nicht wie der Bevormunder sagt, was sie wie zu tun oder zu unterlassen haben, sondern sie ermutigt, zu ihrer eigenen Meinung zu stehen, ihren eigenen Lebensstil zu leben ohne Rücksicht darauf, was andere darüber denken. Der Bevormunder entmutigt, raubt dem anderen seine Sicherheit, sein Selbstvertrauen und stürzt ihn in den Keller der Selbstzweifel. Der Ermutiger tut das Gegenteil: Er bestärkt den Entmutigten, gibt ihm Kraft, sich gegen andere zu stemmen, die ihm vorschreiben wollen, wie er zu leben habe. Er schafft Selbstvertrauen und gibt Sicherheit, verleiht dem anderen gewissermaßen Flügel, die ihn über die Misslichkeiten des Lebens hinwegtragen. Wer ermutigt, könnte als Kraftspender, als Bestärkender eigener Selbständigkeit im Denken und Handeln gelten.
· Der Selbst- und Nächstenliebende : Der Selbstverliebte liebt nur sich selbst, wobei die Betonung auf dem Wort „nur“ liegt, denn es kann nicht sein, dass der Selbsthasser das Gegenteil hiervon ist, weil zwar das Gegenteil von Liebe der Hass ist, aber dann wäre eine Nächstenliebe nicht möglich, weil diese eigentlich die Annahme der eigenen Person voraussetzt. Während der Narzisst als ein Prototyp des Selbstverliebten einen Ausschluss der Nächstenliebe bewirkt, ist die echte Selbstliebe die Grundlage der Annahme des anderen. Während der Narzissmus in die Isolation führt, bedingt die echte Selbstliebe eine Öffnung gegenüber dem Nächsten, bewirkt sie die soziale Komponente der Nächstenliebe, die den anderen so akzeptiert wie er ist, ohne dass die Zuwendung von Vorgaben abhängig gemacht wird. Diese bedingungslose Annahme bewirkt aber – und das ist ein großes Missverständnis der echten Nächstenliebe – dass alles gut zu heißen, was der andere tut. Im Gegenteil: Weil jemand das Wohl des Nächsten im Blick hat, wird er stets wachsam bleiben und den anderen zwar in seinem Sosein akzeptieren, aber dabei nicht seinen eigenen Standpunkt aufgeben. Können wir einen Verbrecher, einen Despoten, einen Menschenverächter lieben? Ja, aber nicht in der Weise, alles zu billigen, was er tut. Die Nächstenliebe bewirkt nicht die kritiklos Verschmelzung mit dem anderen, sondern bewirkt eine zwar wohlwollende, aber kritische Distanz haltende Einstellung gegenüber dem, was wir gemein hin als das Böse nennen. Jesus hatte bei seiner Versuchung in der Wüste durch Satan keine Aggression gegenüber ihm entwickelt, sondern nur eine Zurückweisung („weiche von mir Satan“) getätigt, um die notwendige Distanz zu bewirken. Diese kritische Distanz bewirkt ein echte Be urteilung des anderen, aber nicht eine Ver urteilung. Wer so denkt, stellt sich nicht selbst auf ein Podest, von dem aus er den anderen als sich selbst als Richter sehend abwertend verurteilt, ausgrenzt, diffamiert und zu einem Unmenschen erklärt. Er macht niemals den anderen zu einem Objekt, entmenschlicht ihn nicht, sondern wird ihn auch in seiner schlimmsten Ausprägung immer noch als individuelles Subjekt achten, auch wenn er dessen Verhalten nicht billigen kann. Er hat also einen eigenen Moralkodex, den er nicht vergisst, stülpt aber diesen dem anderen nicht über, erschlägt ihn nicht mit seiner eigenen moralischen Keule. Er sieht sich dem moralischen Kodex als einer universellen Gesetzmäßigkeit verpflichtet, dem er gewissermaßen gehorcht, dem er seine eigenen Befindlichkeiten unterordnet. Er wird also auch dem Feind, wenn dieser in Not geraten ist, helfend zur Seite stehen und ihn nicht darin umkommen lassen und sich nicht über das Elend des anderen freuen. Auch wenn er Undank erntet, auch wenn der andere ihm Böses angetan hat, wird er nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Dies bedeutet immer eine Kraftanstrengung, sie widerstrebt unseren Neigungen, unseren emotionalen Verfassungen nach erlittenem Unrecht, das auf Rache sinnt, widerstrebt aber dem Gebot der Nächstenliebe, wie sie von Jesus gelehrt wurde.
· Der Gerechte : Die Selbstgerechtigkeit ist ein Laster, das aus dem Fehler resultiert, nur seinen eigenen Standpunkt als den richtigen einzuschätzen. Wer nach Gerechtigkeit strebt, wird sie nicht als sein Eigentum ansehen und sie nur für sich selbst als gültig einstufen. Die Gerechtigkeit ist in seinen Augen immer eine unpersönliche, nicht dem eigenen Nutzen unterstellte moralische Kategorie, die sich nicht verbiegen oder den eigenen Bedürfnissen unterordnen lässt. Dadurch entsteht eine notwendige kritische Selbstdistanz, die es erlaubt, nicht nur das Verhalten des anderen, sondern auch das eigene Verhalten einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Während der Selbstgerechte sich selbst vergottet, unangreifbar macht, weiß der Gerechte, dass er sich nicht über die Prinzipien der Moral stellen darf. Er sieht sich und sein Verhalten stets unter die Maxime der Gerechtigkeit gestellt. Das Recht ist also unpersönlich, weil es ohne Ansehen der Person wirkt. Wird er nach Macht streben? Nein, weil er weiß, dass der Machthaber allzu schnell glaubt, über die Prinzipien der Gerechtigkeit zu stehen. „Der Gerechte muss viel leiden“, heißt ein bekanntes Sprichwort. Das liegt daran, dass der nach Gerechtigkeit Strebende stets in der Gefahr steht, von andern verkannt, verlacht, ausgegrenzt , beleidigt, verurteilt und sogar getötet zu werden. Er ist gleichsam ein Stachel im Fleische der Selbstgerechten, den diese am liebsten so schnell wie möglich entfernen wollen.
· Der weise Zurückhaltende : Bei der Wortneuschöpfung des „Dummdreisten“ wurde die mangelnde Intelligenz in einer unheilvollen Verbindung mit der Dreistigkeit gesehen, sich als so wichtig zu nehmen, dass sie die eigenen geistigen Beschränkungen nicht erkennt. Der Zurückhaltende weiß um die Grenzen seiner geistigen Möglichkeiten und hält sich deshalb stets zurück. Der „Dummdreiste“ nach vorne stürmende Besserwisser, dem es an der notwendigen Einsicht fehlt, dem es an Einfühlungsvermögen mangelt, ist das Gegenteil des weisen Zurückhaltenden. Denn dieser hat einmal die Weisheit zu wissen, dass er eben nicht alles besser weiß (Besserwisser) und zum anderen hat er auch das Einfühlungsvermögen, das ihm gebietet, zurückhaltend zu sein, sich selbst in seiner möglichen Übergriffigkeit zu bremsen. Die Wurzel weisen Zurückhaltung liegen in der Weisheit zu erkennen, nicht alles besser wissen zu können und in der sozialen Fähigkeit der Empathie, also sich in andere hineinversetzen zu können, um zu begreifen, wie dieser sich fühlt, was er denkt und welche Bedürfnisse er hat, die respektiert werden. Dies führt zu einer Bescheidenheit im Auftreten, das von manchen als Feigheit fehlinterpretiert werden kann.
· Der Wahrheitsliebende : Während der Lügner es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist der Wahrheitsliebende jemand, der die Wahrheit hoch schätzt als ein teures Gut, das es zu bewahren gilt. Die Wahrheit macht euch frei, hatte einmal Jesus gesagt und an diesem Anspruch wird jeder gemessen werden, wenn er sich vor Gott rechtfertigen muss, wenn er am Ende seines Lebens Rechenschaft abgeben muss („jüngstes Gericht“). Die Wahrheit zu erkennen, ist der erste Schritt hin im Hinblick auf die Erfüllung dieses Anspruches. Dies stellt immer ein schweres Unterfangen dar, weil die Wahrheit nicht immer leicht zu erkennen ist. Wir können auf das uns in die Wiege gelegte Gewissen vertrauen, wenn wir uns auf die Suche nach der Wahrheit machen. Diese innere Stimme, die uns zu einem Urteil über richtig und falsch verhilft, könnte uns dabei helfen, die Wahrheit zu erkennen. Der zweite Schritt ist das Handeln nach der Wahrheit, denn die Erkenntnis reicht nicht aus, sondern sie verhilft nur dazu, die Weichen in die richtige Richtung unseres Tuns zu stellen.
· Der Ehrliche : Während der Betrüger durch Vertrauensmissbrauch und Täuschung zum Betrüger wird, sind es beim Ehrlichen die Wertschätzung eines Vertrauensverhältnisses zu Mitmenschen und die Aufrichtigkeit im Hinblick auf den Umgang mit ihnen. Der Ehrliche verabscheut die Lüge, weil diese die Saat für das Zerwürfnis sozialer Beziehungen legt. Der Ehrliche wird z. B. in der Beziehung zu einem Ehepartner nie auf den Gedanken kommen, durch einen Ehebruch die Beziehung zu gefährden. Er wird aber ehrlich sein in seinem Bekenntnis, ob er den anderen wirklich noch liebt oder nicht, weil er sich der Wahrheit verpflichtet sieht. Wahrheit tut auch weh, ist schmerzhaft, aber eine Lüge in der Beziehung führt früher oder später zu einem Desaster. Der Ehrliche wird auch nicht nur in intimen Beziehungen versuchen sich nicht zu verstellen, sondern allgemein im gesellschaftlichen Kontext aufrichtig in seinen Verlautbarungen bleiben, seien sie mündlicher oder schriftlicher Art. Das „Schummeln“ bei der Steuererklärung kommt deshalb für ihn nicht infrage. Auch im Geschäftsleben wird sich jeder auf das verlassen können, was er einmal zugesagt hat. Der „ehrliche Kaufmann“ ist das Gegenteil des gerissenen Geschäftsmannes, dessen Trachten darin besteht, den andern zu übervorteilen, wo es nur geht. Verträge wären eigentlich nicht notwendig, weil es für ihn keine Hintertür gibt, um sich doch nicht an zugesagte Vereinbarungen nicht zu halten. Wenn es nur Ehrliche gäbe, bräuchte es keine Gerichte, keine Steuerberater, niemanden, der eingreifen muss, weil sich Menschen unehrlich, also betrügerisch verhalten haben.
· Der Bescheidene : Während der Unverschämte stets mit einer unangemessenen Anspruchshaltung daherkommt, nach der er glaubt, alles für sich beanspruchen zu können, ist der Bescheidende zurückhaltend im Hinblick auf seine Ansprüche, die er an andere stellt. Er nimmt sich nicht das größte Stück vom Kuchen und gibt sich auch mit dem kleinen Stück zufrieden, begiert also nichts mehr als das, was er für sich zum Leben braucht. Das Anhäufen von Reichtümern ist ihm fremd, weil es ihm widerstrebt, sich mehr zu nehmen, als er braucht. Es gibt für ihn kein Missverhältnis zwischen dem, was er leistet und dem, was er dafür an Lohn beansprucht. Die Angemessenheit dieses Verhältnisses gebietet für ihn die Zurückhaltung im Hinblick auf eine nicht gerechtfertigte Anspruchshaltung. „Bescheidenheit ist eine Zier“ ist für ihn nicht nur eine leere Floskel, sondern Lebensprinzip. Strebt er noch hohen Ämtern, nach einer gehobenen Stellung in der Gesellschaft? Das liegt nicht in seinem Begehren, sondern wenn es dazu kommt, dass er tatsächlich in Spitzenpositionen gelangt, dann ist das „einfach so passiert“, also eine Zugabe, aber niemals eine primäre Motivation. Selbst wenn er in eine Leitungsfunktion gelangt, wird er diese nicht ausnutzen, um sich zusätzliche Vorteile zu verschaffen, sondern sich dem Gemeinwohl verpflichtet sehen, seine Fähigkeiten für die Allgemeinheit einzusetzen. Wird er als Abgeordneter für erhöhte Diäten stimmen? Wird er sich als Vorstandsmitglied Sonderzahlungen genehmigen? Das alles liegt ihm fern, weil er dies für unangemessen hielte. Auch wenn der Bescheidene sich am unteren Ende der Gesellschaftspyramide befindet, wird er nicht ständig versuchen, für sich aus dem Sozialsystem das Maximum herauszuholen, weil er weiß, dass alles was er beansprucht, von anderen erst einmal erwirtschaftet werden muss.
· Der Tiefstapler : Er ist das Pendent zum Angeber. Während der Angeber glaubt, sich immer mit dem was er ist und kann in den Vordergrund schieben zu müssen, ist der Tiefstapler der Künstler des Untertreibens. Ihn treibt nicht an, dass er die Bewunderung der anderen einheimst, sondern er ist vorsichtig mit seiner „Selbstauslobung“, weil er nicht sicher weiß, ob er diese dann auch erfüllen kann. Ist er ein angenehmer Typ? Auf jeden Fall ist er leichter zu ertragen als ein Angeber, der oft mit seiner Prahlerei nervt. Er könnte mehr, als er zugibt – das könnte auch eine Taktik sein, um im richtigen Moment zuzuschlagen. Den Moment der Überraschung nutzend könnte er dann alle in Erstaunen versetzen, wenn er mehr kann, als er zugeben mag.
· Der Tolerante: Der Fanatiker ist der Gegenpart zum Toleranten. Während der Fanantiker glaubt im Besitz der Wahrheit zu sein, ist der Tolerante sich dieser Wahrheit nicht sicher. Dieser Unsicherheit Tribut zollend ist er zurückhaltend in der eigenen Interessenvertretung – hier ist er dem Bescheidenen ähnlich – und auch im Verfechten auf der Bühne des gesellschaftlichen Lebens im Kampf um die Durchsetzung eigener geglaubter Wahrheiten. Für ihn ist die einseitige Durchsetzung eigener Überzeugungen zu Lasten anderer ein absolutes Unding. Für ihn ist es auch ebenso unmöglich, bei der Wahl der Mittel in der Weise radikal zu sein, dass er sie im Hinblick auf das bewirkte Ziel für immer gerechtfertigt hält. Für ihn heiligt das Ziel eben nicht die Mittel. Wenn er bei der Wahl der Mittel zum Erreichen eines Zieles andere schädigen würde, sähe er dies als eine Kontraindikation an, diese Mittel anzuwenden. Das Geltenlassen der Meinung anderer steht stets im Vordergrund seiner Weltsicht, die unterschiedliche Sichtweisen zulässt, weil er weiß, dass jeder von seinem eigenen Standpunkt aus zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen kann. Der Tolerante steht zu seinen Überzeugungen, lässt aber die der anderen gelten, was eben der Fanantiker nicht tut.
· Der Verteidiger: Man stelle sich eine Diskussionsrunde in einer Gruppe vor, bei der einer der Gruppenteilnehmer „in die Zange genommen“ wird. Einer fängt meistens an, und erhebt eine Anklage gegen ihn, wonach es nicht lange dauert, bis ein anderer „in dieselbe Kerbe haut“ und dem Ankläger beipflichtet. Sodann fühlen sich weitere Gruppenmitglieder ermutigt, im gleichen Tonfall weitere Anklagen zu formulieren, bis eine regelrechte Hetzjagd beginnt, die den Ärmsten zur Strecke bringt. Auf einmal stellt sich ein Gruppenmitglied auf die Seite des Gehetzten und findet Gründe, warum dieser dieses oder jenes getan hat und stellt sich auf seine Seite. Der Verteidiger ist also der Gegenpart zum Hetzer. Er stellt sich gegen die Gruppenmeinung und verteidigt den Angegriffenen. Solche Hetzjagden auf Andersdenkende ruft, wenn der Gehetzte Glück hat, den Verteidiger auf den Plan. Es bedarf Mut, sich gegen eine aufgebrachte Meute und sich auf die Seite des Geächteten zu stellen, denn wie schnell kann er selbst zum Gejagten werden. Der Verteidiger ist also derjenige, der sich für einen in die Enge Getriebenen einsetzt und diesen unterstützt, sich gegen die aufgebrachte Menge zu wehren. Dies kann nicht nur in übersichtlichen Gruppen, sondern im Internet, in der Politik, in Betrieben, vor dem Gericht – hier gibt es sogar im Strafrecht den für den Angeklagten bestellten Rechtsanwalt, der diese Rolle übernimmt – oder in anderen sozialen Gebilden geschehen. Robin Hood gilt als Symbolfigur des Verteidigers in totalitären Herrschaftssystemen, der sich auf die Seite der Schwachen stellt und für deren Rechte kämpft und sie gegen übergriffige Machthaber verteidigt. Wohl dem, der einen solchen Verteidiger hat. In unserer aggressiven Gesellschaft bedarf es dieser mutigen Einzelkämpfer, die sich auf die Seite der Ausgegrenzten, der Ausgebeuteten, der Entrechteten stellen.
· Der Kümmerer: Während der Ignorant kein Interesse an anderen hat, die Not und das Elend ignoriert, nicht zur Kenntnis nimmt, gibt es zu diesem einen Gegenpart, der nicht die Augen verschließt, sondern wie ein Hütehund gewissermaßen Ausschau hält nach Ungerechtigkeiten, nach ungerechtfertigten Hetzjagden auf andere und sich um diejenigen kümmert, die in Bedrängnis geraten sind. Der Kümmerer macht sich den Kummer des anderen zu seinem eigenen. Er engagiert sich für ihn und unterstützt ihn bei der Bewältigung von Problemen, die er allein nicht lösen kann. Der Kümmerer ruht und rastet nicht, bis etwas wieder in Ordnung gebracht wurde, was in Unordnung geraten ist. Ihn lässt eben nichts kalt, sondern er gerät in Aufregung, wenn in der Welt etwas schief läuft. Dabei lässt er es nicht bei einer simplen Empörung bewenden, sondern er engagiert sich und geht in den „Aktionsmodus“, er tut etwas, um Missstände zu beseitigen, um Menschen in Notsituationen zu helfen. Dabei ist er in seiner Wahrnehmung wie mit einem feinen Radargerät ausgestattet, das ihm meldet, wenn eine Ungerechtigkeit, ein Missgeschick eines Mitmenschen oder die Not auch eines Tieres vorhanden sind. Er ist dann „wie elektrisiert“ und engagiert sich und greift ein, um zu helfen, die Notsituation zu beseitigen. Gibt es genügend Kümmerer? Leider nein, es gibt sie vielleicht immer weniger, weil in unserer Gesellschaft diese oft nicht gesehen und beachtet und ihre Leistung nicht angemessen honoriert wird.
· Der Großzügige : Während der Geizige alles zu verschlingen trachtet und von dem, was er bekommen hat, nichts hergeben will, ist der Großzügige das Gegenteil, denn er lebt wie eine nie verendende Wasserquelle, an der sich alle satt trinken können. Vom Großzügigen weiß man nicht, woher er eigentlich das hat, was er freiwillig hergibt, er macht daraus keine Affäre, für ihn ist das Geben wirklich seliger als das Nehmen. Er freut sich daran, andere zu beschenken, ihnen eine Freude zu machen, anderen einen Geldbetrag zu geben, die in einer Notlage sind, er ist mit dem Trinkgeld nicht knauserig, hält nichts zurück, was ihm gehört, sondern möchte es immer mit anderen teilen. Für ihn ist die geteilte Freude wirklich die doppelte Freude. Er kennt sicher auch Undankbarkeit, die ihn dazu verleiten könnte, den Schalter umzulegen, um auf den Haben-Modus umzustellen. Aber davon lässt er sich auf Dauer nicht beeindrucken. Die Großzügigkeit ist zu einer festen Charaktereigenschaft geworden. Tut er dies alles ohne Hintergedanken? Welches ist sein Gewinn? Diese Denkart ist ihm eigentlich fremd, weil dieses „Bilanzdenken“ für ihn im gewissen Sinne eine Sakrileg darstellt: Wenn etwa auf der Sollseite seiner Bilanz steht, muss nicht unbedingt ein Äquivalent auf der Habenseite stehen. Es ist das Denken der Ökonomen, die immer aufrechnen nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir – im guten wie im bösen Sinne. Der Großzügige ist im Seins-Modus, wie dies Erich Fromm (Haben oder Sein) sehen würde, indem nicht eine Gewinn- und Verlustrechnung aufgemacht wird. Das „Großzüigig-Sein“ ist eine eben eine Seinsweise, die davon lebt, nicht im ökonomischen Sinne beurteilt zu werden. Niemand, der wirklich gegenüber anderen großzügig ist, wird auf die Idee kommen, dieses Verhalten in irgendeiner Weise aufzurechnen, zu erwarten, dass irgendwann etwas zurückkommt. Dies würde dem Prinzip der Großzügigkeit widersprechen, die ohne Hintergedanken auskommt.
· Der Optimist : Während der Miesmacher eine graue Brille trägt und deshalb die Welt durch diesen Grau-Filter sieht, hat der Optimist eine hell-gelbe Brille auf, die die Farben stärker leuchten lässt. Der Optimist liebt die Menschen und die Welt und kann nicht anders, als in schier ausweglos erscheinenden Situationen Optimismus zu verbreiten. Der apersonale Optimist sieht die Welt als solche positiv, sieht nicht primär die Dornen, sondern die Früchte eines Brombeerbusches. Er erkennt, dass das Glas Wasser noch wenigstens halb gefüllt ist und nicht schon halb leer. Sein Augenmerk ist also darauf gelenkt, die positiven Aspekte der Welt zuerst zu erkennen und nicht die negativen. Der personale Optimis t geht im Kontakt mit Menschen erst einmal davon aus, dass jeder positive Seiten hat – auch der Verbrecher, der Lump, der Schuft, der Halsabschneider. Er denkt, dass Menschen, die „missraten“ sind, nicht ohne Grund so geworden sind: schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen, schwere Schicksalsschläge wie Krankheiten, Unfälle, Missgeschicke des täglichen Lebens oder einfach nur Pech. Der Optimist gibt nicht auf, wird nicht ungeduldig auch im Hinblick auf das Gelingen eigener Vorhaben, sondern glaubt immer daran, dass etwas, was er begonnen hat, auch gelingen kann.
· Der Faire : Während der Intrigant als ein Meister der Ränkeschmiede andere skrupellos reinlegt, ist der Faire stets so eingestellt, dass er sich an Absprachen hält, keine Doppelbödigkeit einbaut, sondern alles so sagt, wie er es auch meint. Die Fairness ist die an durchsichtige und an klare Regeln gekoppelte Umgangsweise, die keine „Fouls“ kennt. Während der Intrigant mit Amüsement zuschaut, wenn es ihm gelungen ist, andere aufeinander zu hetzen („wenn sich zwei streiten, freut sich der dritte“), wird der Faire dieses gerade zu vermeiden suchen. Er wird stets um einen gerechten Umgang miteinander kämpfen und jede Zwietracht versuchen zu vermeiden. Er kennt nicht das „falsche Spiel“ des Intriganten, sondern, wenn es zum Kampf kommt, kämpft er „mit offenem Visier“ und lässt es nicht zu, dass mit „faulen Tricks“ gearbeitet wird.
· Der Dankbare : Ist das Leben ein Geschenk? Die Dankbarkeit ist der Schlüssel, um das Leben und alles was wir erhalten als Geschenk anzusehen. Sicher gibt es vieles, was wir durch eigene Anstrengung erhalten, aber vieles, was wir bekommen, ist einfach geschenkt: Die Liebe der Mutter, die Fürsorge um das leibliche Wohl durch Zuwendungen anderer, die Gaben in Form von Fähigkeiten, die wir zwar erlernen, aber in seiner Grundform als Voraussetzung für das Erlernen einfach geschenkt bekommen. Im sozialen Kontext ist die Dankbarkeit die Tugend des Nichtvergessens; nicht zu vergessen, was jemand einem anderen Gutes getan hat. Wer dankbar ist, vergisst dies nicht und wird nicht – wie der Undankbare – die erlebte Großzügigkeit eines anderen mit Undank quittieren. Er wird fair bleiben und bei einem Fehlverhalten des anderen, seine guten Taten nicht vergessen. Er wird nicht die „Hand beißen, die ihn gefüttert hat“, sondern sich dessen stets erinnern, auch wenn es in der Beziehung nicht so gut läuft. Dankbarkeit ist die Grundvoraussetzung von Vertrauen. Vertrauen kann nur entstehen, wenn trotz der Wirrnisse und Widrigkeiten des Lebens und trotz der Enttäuschungen, eine zugesagte und versprochene Treue eingehhalten wird.
· Der Treuherzige : Der Verräter ist die Untreue in Person. Die Treue, die von Herzen kommt, ist die Absicht desjenigen, der dem Partner, dem Freund, dem Gefährten, auch dem Geschäftspartner oder dem Arbeitskollegen „nicht in den Rücken fällt“. Er kämpft wie der Faire für einen anständigen Umgang miteinander und wird niemals wegen eines eigenen Vorteils willen die Vertrauensperson an seine Feind verraten. Es liegt ihm fern, andere zu denunzieren, schlecht über sie zu reden, um sich dadurch in ein gute Licht zu setzen. Er wird stattdessen dem Freund stets treu an der Seite stehen, auch und vor allem in schwierigen Zeiten. Es ist für ihn eine „Herzensangelegenheit“ dem anderen treu zu bleiben, ihn nicht zu betrügen oder zu hintergehen. Auf den Treuherzigen ist deshalb auch stets Verlass, weil er nicht kneift, wenn es schwierig wird. Der treue Kamerad holt den in Gefahr geratenen Gefährten aus seiner misslichen Lage und riskiert dabei sein eigenes Leben. Der Treuherzigkeit ist die Basis schlechthin für gute und langfristige Beziehungen zu anderen Menschen und auch Tieren und stellt sozusagen der Kitt der Gesellschaft dar.
· Der Wachsame : Während die Schlafmütze alles vergisst, seien es wichtige Termine, Absprachen mit Freunden oder Mitbringsel zu vereinbarten Treffen, ist der Wachsame gründlich und stets auf der Höhe des Geschehens. Er ist weder vergesslich noch unaufmerksam, sondern ist stets gut vorbereitet bei vereinbarten Treffen, hat immer alles dabei, was gebraucht wird, ist zuverlässig in jeder Hinsicht. Er ist pünktlich an dem vereinbarten Ort, weil er wichtige Termine stets in seinem Kalender notiert hat. Er gibt sich auch im Hinblick auf das, was besprochen wird, als aufmerksamer Zuhörer und kann sich auch an Details des Gespräches erinnern. Die Anstrengung merkt man ihm nicht an, die dafür erforderlich ist, weil diese Wachsamkeit schon längst zu seinem Habitus gehört. Er ist ein angenehmer Zeitgenosse, weil durch seine Wachsamkeit ein zuverlässiger Partner ist. .
· Der Ordentliche : Der Schlamper ist das krasse Gegenteil zum Ordentlichen. Für den Ordentlichen gilt der Spruch: Ordnung ist das halbe Leben. Und das halbe Leben ist wirklich viel. Der Ordentliche kennzeichnet sich durch seine Strukturiertheit aus, d. h. er schafft es, sowohl die Dinge des Alltages so zu sortieren, dass er auf Anhieb weiß, wo was ist, als auch die Gedanken zu sortieren, was sich in seiner Planung zukünftiger Vorhaben günstig auswirket. Hinzu kommt die Übersichtlichkeit als ein weiteres wichtiges Merkmal, denn die erlaubt es ihm „auf einen Blick“ sehr schnell das zu finden, was er sucht. Er ist wie ein Kommandant auf einer Brücke, der weiß, in welche Richtung ein Schiff fahren soll, der den Kurs hält, weil er alles im Blick hat. Gemäß dem hermetischen Gesetz „wie innen so außen“ entspricht die äußere Ordnung auch der inneren Ordnung. Chaos ist bei dem Ordentlichen nicht denkbar. Er ordnet also nicht nur im Äußeren alles, sondern er hat auch eine innere Ordnung die es ihm erlaubt, sein Leben zu planen, seine Ziele zu verfolgen. Dies bezieht sich auf seine Gefühlswelt, die nicht von einem wilden Durcheinander geprägt ist. Er ist deshalb ein angenehmer Zeitgenosse, weil ihm chaotische Gefühlswelten, die sich im Kontakt mit anderen in einer gewissen Unberechenbarkeit bemerkbar macht, fremd sind. Er ist dadurch auch zuverlässig und gewissermaßen kalkulierbar.
· Der Einzelkämpfer : Während der Mitläufer seine Überlebenschance dadurch zu sichern versucht, dass er „mit dem Strom schwimmt“, sich der Mehrheit anpasst, ist der Einzelkämpfer jemand, der auf sich allein gestellt seine Ziele in seinem Leben verfolgt, ohne dabei auf die Mehrheitsmeinung zu achten. Während der Mitläufer immer dazu gehören will und Wert auf Anerkennung legt, benötigt der Einzelkämpfer nicht diese Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen, einer Gemeinschaft oder der Gesellschaft schlechthin, sondern er versucht, sich alleine in dieser Welt zu behaupten und legt dabei keinen Wert darauf, dass ihm „die Welt zu Füßen liegt“. Wenn er die Wahl hat, entweder sich selbst und seinen Grundsätzen treue zu bleiben oder diese zu leugnen, um sich der Mitgliedschaft einer Gruppe von Menschen zu sichern, dann wird er lieber auf die Zugehörigkeit verzichten. Sich selbst zu verleugnen ist etwas, was der Einzelkämpfer verabscheut. Er hasst jede Art der Uniformierung, den Gleichschritt, die Rituale, die die Angehörigkeit zu einer Gemeinschaft signalisieren. Er bleibt lieber allein und kämpft für das, was er für richtig hält – ohne auf die Wirkung von dem zu achten, was er tut. Er ist ein Individualist und liebt die Freiheit des Denkens, Fühlens und Handelns. Jede Art der Gleichschaltung durch Massenmedien, Parteiprogramme, Glaubensdogmen religiöser Gemeinschaften sind ihm suspekt, weil er sich gegen jede Art der Indoktrination wendet und Wert auf ein selbstbestimmtes Leben legt. Was macht ihn angenehm? Seine Qualität liegt in seiner Eigenart, seiner Unverfälschtheit, seiner Originalität, die sich gegen jede Art der Assimilation wendet und ihn zu einem unverwechselbaren Unikum macht.
· Der Mutige : Der Einzelkämpfer ist gleichzeitig nicht nur ein Individualist par excellence, sondern ein mutiger Mensch. Die Courage, gegen den Strom zu schwimmen, Neues auszuprobieren, sich dem Gespött der anderen auszusetzen, weil sie kein Verständnis für seine Ideen haben, erfordert Mut. Er beugt sich nicht der Gruppennorm, nicht der Anweisung einer Autorität, fügt sich schlecht in ein System ein oder gehorcht nicht dem Zeitgeist. Das erfordert Mut, allein notfalls gegen eine Mehrheit anzukämpfen. Er ist dabei risikofreudig und lässt sich nicht darauf ein, für eine vermeintliche Sicherheit durch andere seine Identität rauben zu lassen. Er kämpft allein gegen den Drachen, vor dem die anderen weglaufen. Der Mutige ist der wahre Held, weil er sich den Gefahren stellt, anstatt wegzulaufen. Mitunter wird er belohnt für seinen Mut, was aber nicht das primäre Ziel seiner Vorhaben ist, den ein richtiger Held ist auch gleichzeitig ein Idealist, der für seine Prinzipien kämpft und weder diese noch sich selbst versteckt. Er benötigt hierzu nicht die externe Bekräftigung durch die Gemeinschaft oder die Autoritäten. Nicht für Ehrenabzeichen riskiert der Mutige sein Leben, sondern für seine Ideale, denen er sich verpflichtet sieht. Insofern ist er auch mit der Transzendenz verbunden, mit dem Göttlichen, mit dem Himmel über ihm, der vielleicht öfter die Hand schützend über ihn hält und ihm Schutzengel zur Seite stellt. Dem Mutigen umgibt deshalb mitunter das Licht aus einer jenseitigen Welt, die seine Aura erhellt und sie strahlen lässt.
· Der Prinzipientreue : Der Gesinnungslump ist das negative Pendent zum Prinzipientreuen. Während der Gesinnungslump seine Einstellungen, Meinungen und Handlugen nach der Mehrheitsmeinung ausrichtet und so immer auf einer scheinbar sicheren Welle daherschwimmt, bleibt der Prinzipientreue bei dem was er einmal gesagt, geschrieben und getan hat. Er hat Grundsätze, denen er sich verpflichtet sieht. Ihm ist jede Art des Opportunismus fremd, weil er nicht käuflich ist, weder im direkten noch im übertragenen Sinne. Er bleibt bei seinen Überzeugungen und lässt keine Zweifel aufkommen, dass er hierzu steht. Dem Druck der Autoritäten hält er stand, riskiert Ausgrenzung bis hin zur Existenzvernichtung. Warum tut er dies? Dieses Rätsel ist lösbar, weil der Prinzipientreue nicht nur durch seine Grundsätze geerdet ist, also einen festen Standpunkt vertritt, sondern sich auch mit dem Himmel in Verbindung sieht. Die „himmlische“ Verbindung trägt ihn durch die Anfeindungen, weil er nicht wirklich um sein Leben fürchtet, das sowieso im physischen Sinne endlich ist. Er sieht sich in der Vertikalen gesehen auch mit dem Göttlichen in Verbindung stehend, so wie dies z. B. Luther formuliert hatte, als er vor einem Tribunal seine Lehre widerrufen sollte: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir Amen.
· Der Konfliktvermeider: Während der Streitsüchtige geradezu darauf aus, in eine Auseinandersetzung zu gehen, um dabei möglichst als Sieger hervorzugehen, geht es dem Konfliktvermeider darum, den Konflikt möglichst gar nicht entstehen zu lassen. Er überlegt sich von vornherein, ob sich es überhaupt lohnt, in einen Konflikt hineinzugehen, um sich „auf Biegen und Brechen“ gegen einen Kontrahenten behaupten zu wollen. Er geht dem Konflikt dadurch aus dem Wege, in dem er die Abschätzung trifft: Lohnt es sich überhaupt, den Konflikt auszutragen oder ist es nicht besser, diesen Konflikt gar nicht als Konflikt anzusehen, ihn durch „Aus-dem-Weg-gehen“ oder Nachgeben zu umgehen. Nicht zu verwechseln ist er mit dem Schlichter. Ihm geht es darum, als neutrale Person zu verhindern, dass zu Lasten einer Person ein Streit durch einen Sieg einer überlegenen Partei beendet wird. Der Kompromiss, der Ausgleich zwischen zwei extremen Positionen ist sein Ziel. Der Schlichter will keine Sieger – zumindest nicht nur auf einer Seite –, sondern will versuchen, dass eine „Win-win-Situation“ entsteht, d. h. dass beide – trotz Abstriche hinsichtlich der eigenen Standpunkte und Ziele – sich als Sieger zumindest fühlen („ich habe zwar nicht in allem gewonnen, aber ich habe zumindest einen Teilsieg erzielt“).
· Der Vergebende: Nach einem Streit, der nicht erfolgreich war, nach einem Fehler eines anderen, der zum eigenen Nachteil führte, kann es vorkommen, dass Menschen das nicht vergessen können und dies dem andern nachtragen. Sie sinnen heimlich immer auf Rache, auf eine Möglichkeit, dem anderen es „heimzuzahlen“. Der Nachtragende ist das Pendent zum Vergebenden. Wer vergibt, der sagt damit: Ich sehe die Sache als erledigt an. Wir fahren wieder zurück auf die Ausgangsposition. Mit dem Vergeben einer Schuld, wird eine Schädigung durch einen anderen Menschen als erledigt erklärt. Vorausgehen sollte aufseiten des „Schuldners“ das Eingestehen der eigenen Schuld, die Bitte um Vergebung und die Wiedergutmachung. Es ist auch möglich, dass der Vergebende auf die Wiedergutmachung verzichtet – als einen Akt der Großzügigkeit. Wer vergibt, löscht eine Schuld und bereinigt somit eine Beziehung. Nach christlicher Lehre, die auf Jesus zurückgeht, wird im „Vater unser“ um die Vergebung der eigenen Schuld durch Gott gebeten und gleichzeitig zugesichert, die Schuld auch dem anderen zu vergeben. Die Vergebung sollte aber immer echt gemeint sein, sonst droht irgendwann die Rache des Geschädigten durch das U-Boot der Vergeltung aufgrund eines verdrängten Grolls.
· Der Tiefgründige: Der Oberflächliche lebt gewissermaßen in der Horizontalen, denn er sieht keinen tieferen Sinn im Leben. Der Tiefgründige will aber dem Leben auf den Grund gehen, will nicht auf der Oberfläche eines scheinbar gemütlichen Lebens dahinschwimmen. Er sieht sich in der Vertikalen und hofft, durch das Graben in den Tiefen des Bewusstseins, in den Tiefen der Welt den Grund für seine Existenz zu finden. Warum leben wir überhaupt? Das ist die Frage, die versucht im wahrsten Sinne des Wortes zu ergründen. Wenn er nicht fündig wird, kann er zum Grübler werden, der ständig sich in einer Gedankenwelt verliert und glaubt, doch noch fündig zu werden oder im schlimmsten Fall zum Zyniker mutieren, der die Welt nur als ein absurdes Theater ansieht, die trotz größter mühevoller Suche nach dem Sinn sich als sinnlos herausstellt. Der Tiefgründer ist ein guter Gesprächspartner, wenn es um ernste Themen geht, weil er stets versucht, einer Sache auf den Grund zu gehen. Für ihn ist nichts schrecklicher als sinnfreie Gespräche bei einem gemütlichen Beisammensein, die er für pure Zeitverschwendung hält. Er ist ein geborener Philosoph, der die Weisheit liebt und glaubt weise zu werden, wenn er nur lange genug über eine Sache nachdenkt.
· Der Skeptiker: Der Naivling nervt, weil er jedem alles glaubt. Sein Pendent, der Skeptiker, ist davon angetrieben, dass er eben nicht alles glaubt, was ihm von anderen erzählt wird. In seiner negativen Übertreibung neigt der Skeptiker zum Argwohn, also dazu, hinter allem etwas Schlechtes zu ahnen. Der gesunde Skeptizismus ist heilsam, weil er vor der Übervorteilung durch Betrüger warnt, weil er davor schützt, den als allgemeingültig erklärten Wahrheiten und damit falschen Welterklärern auf den Leim zu gehen. Das gesunde Misstrauen hilft uns vor Enttäuschungen zu schützen, bewahrt uns davor, in die vielen Fallen der bösen Welt hineinzutappen. Denn dass die Welt, so wie sie uns etwa durch Massenmedien vermittelt wird, wirklich so ist, wie es uns suggeriert wird, stößt bei dem Skeptiker auf berechtige Zweifel. Der Zweifel hilft, selbst noch einmal nachzudenken und zu recherchieren, ob das, was behauptet wird, wirklich stimmt und nicht andere Interessen dahinter stehen, die nicht offen kommuniziert werden. Der Skeptiker war z.B. misstrauisch, als in der Corona-Zeit die „Impfung“ als Allheilmittel angepriesen wurde – und das hat ihm vielleicht dazu verholfen, sich nicht einfach aus Gutgläubigkeit eine gefährliche Mischung in den Körper jagen zu lassen.
· Der Herzliche: Wer kein Herz hat, dem fehlt es an Einfühlungsvermögen, was z. B. Psychopathen nachgesagt wird. Der Herzliche ist das Gegenteil, denn er weiß, dass das Herz nicht nur eine Pumpe ist, sondern ein mächtiges Zentrum mit einer eigenen Gesetzmäßigkeit, eigenem Nervensystem und einer großen Strahlungskraft, die eine Aura der Herzlichkeit bildet. Wer mit herzlichen Menschen zu tun hat, wird dies intuitiv spüren, wird sich gewissermaßen eingefangen sehen in diese unsichtbare, aber spürbare Aura, die von diesem Menschen ausgeht. Wer z. B. einen Sucharit Bhakdi sieht und sprechen hört, wird von seiner Herzlichkeit überzeugt sein und glauben, dass das was er sagt, seiner innersten Überzeugung entspringt. Der Herzliche strahlt das aus, was in seinem Innersten verborgen ist. Der Säugling spürt diese Herzlichkeit bereits intuitiv und legt seinen Kopf auf die Herzseite seiner Mutter und wird mit ihr eins. Die Herzlichkeit schließt ein, nicht aus, sie gibt Geborgenheit und grenzt nicht ab, sie vermittelt Ruhe und nicht Hetze, sie vermittelt Freude und nicht Traurigkeit. Der Herzliche sieht sich selbst als eine Person an, die eigentlich niemand wirklich böse sein kann. Er kann verzeihen, vergeben, vergessen, was andere ihm angetan haben und hat eine große Geduld, eine Engelsgeduld. Dem Herzlichen können wir Vertrauen schenken, weil er niemals einem anderen etwas zu Leide tun will, weil er von Grund auf gut ist, ohne dass er dies nach außen hin betonen muss. Er überzeugt allein durch seine Existenz.
· Der Rücksichtsvolle: Wer ohne Rücksicht vorgeht, gilt als rücksichtslos, weil er nicht die negativen Folgen seines Handelns antizipiert oder diese ihm schlechtweg egal sind. Der Rücksichtsvolle hat die Folgen seines Tuns immer im Blick und wägt ob, wie und in welchem Ausmaß sich sein Verhalten auf andere auswirkt. Er wird dabei nicht so weit gehen, sein Handeln zu einer erdrückenden, den anderen in sein Autonomiebedürfnis beschränkenden Aktion verkommen zu lassen. Er geht also vorsichtig zu Werke und versucht gedanklich die Auswirkungen seines Verhaltens auf die Mitmenschen zu antizipieren. Die mögliche Vorwegnahme der Folgen seiner Taten erlauben dem Rücksichtsvollen die Einschätzung, ob er zur Handlung schreiten soll oder nicht, ob er jemand helfen sollte oder ob es besser wäre, nichts zu tun. Er macht sich dabei klar, dass eine Hilfe auch die Kehrseite der Bevormundung beinhalten kann, wenn sie zu penetrant daherkommt und die Autonomiebedürfnisse des anderen negiert. Dabei lässt er sich von moralischen Grundvorstellungen leiten, die darauf aufbauen, in der Welt so zu agieren, dass – als Mindestvoraussetzung – kein Schaden angerichtet wird, im besten Falle der Nutzen für den anderen, sein Wohlergehen vermehrt wird.
· Der Humorvolle: Humor ist wenn man trotzdem lacht. Echter Humor ist sehr vom reinen Klamauk zu unterscheiden oder gar von der Schadensfreude, die z. B. in den Sendungen „Verstehen sie Spaß“ zelebriert wurde. Humor ist, wenn ein zu Tode verurteilter Mensch vor seiner Hinrichtung die letzte Zigarette mit der Begründung ablehnt, dass er gehört habe, dass man dadurch Lungenkrebs bekommen könne. Der Humorvolle strahlt eine gewisse Gelassenheit aus, nimmt nicht das Leben auf die leichte Schulter, sondern versucht, in jeder Lebenssituation eine heitere Note zu finden, die alles erträglicher machen könnte. Er ist kein Spaßvogel, der nur andere zum Lachen bringen will, weil er einen guten Witz erzählt hat, er ist eher der Clown, der weiß, dass seine Späße ihn zwar als Trottel dastehen lässt, aber den guten Zweck erfüllt, den Menschen im Zirkus wenigstens für eine Weile das Gefühl zu geben, sich im Paradies zu befinden, wo es kein Leid gibt. Der Humorvolle ist ein Lebenskünstler, weil er zwar weiß, dass das Leben eine ernste Sache ist, aber auch die Leichtigkeit des Seins ihre Berechtigung hat. Humor ist vielleicht ein göttliches Geschenk, das uns darüber hinweg trösten soll, dass wir trotz der oft empfundenen Gottesferne doch nicht allein sind und mit ihm in Verbindung stehen, wenn wir versuchen, dem oft absurden Leben eine heitere Note abzugewinnen.
· Mischtypen: Wie bei den Nervensägen gibt es auch bei den Nervenberuhigern eine Mixtur verschiedener Typen. Ein gemeinsames Merkmal könnte sein, dass alle irgendwie Humor haben, weil der Humor die Basis darstellt sowohl z. B. für Herzlichkeit als auch für die Tiefgründigkeit. Der Skeptiker ist auch oft gleichzeitig der Prinzipientreue, weil er von der Beurteilung der Welt von gewissen Grundsätzen ausgeht. Der Gerechte ist auch der Wahrheitsliebende, weil die Wahrheit zu erkennen eine wichtige Grundlage ist, um gerecht zu sein. Der Bescheidende ist oft auch gleichzeitig der Tiefstapler, weil beide Charaktere die gleiche Wurzel haben, nämlich sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Der Verteidiger und der Kümmerer haben mit dem Selbst- und Nächstenliebenden gemeinsame Wurzeln in dem tiefen Glauben daran, dass es wichtig ist, sich für andere einzusetzen und zu helfen, wo andere in Not sind.
Die Nervenberuhiger sind vielleicht in der Minderzahl oder zumindest scheint dies so zu sein, weil die Nevensägen viel penetranter daherkommen. Wer sich Mühe gibt, wird diese aber auch finden und jeder wird vielleicht bei sich selbst Wesenszüge erkennen, die diesem angenehmen Zeitgenossen gleichen. Ohne sie wäre die Welt wirklich unerträglich und vielleicht schon die Hölle. Sie geben uns die Gewissheit, dass wir über unsere irdische Welt hinaus auch eine jenseitige Heimat haben, in der es hoffentlich nur Nervenberuhiger gibt.
© beim Verfasser
[1] Der Einfachheit halber sind die folgenden Typen im Maskulinum geschrieben. Die Ausführungen gelten entsprechend für beide Geschlechter und „Diverse“.









